24. 7. 2024
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Gisa Schosswohl
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Gisa Schosswohl

Gisa Schosswohl ist studierte Wirtschaftswissenschaftlerin und Juristin und hat über zwanzig Jahre Erfahrung als internationale Projektmanagerin in den Bereichen Kultur- und Kreativwirtschaft, Bildung, Forschung und Tourismus. Beim NRW.innovativ Zukunftsworkshop am 21. August 2024 beleuchtet sie in einem Impulsvortrag das Thema Kreativität und Cross-Innovation aus europäischer Perspektive.

Wie sind Sie in der Kultur- und Kreativwirtschaft gelandet, und in welchen Projekten sind Sie aktuell involviert?

Wie so oft spielte der Zufall eine Rolle: Vor elf Jahren machte ich mich als Projektmanagerin für europäische Innovationsprojekte selbständig und stieß zufällig auf einen Workshop zum kreativen Schreiben der Creative Region in Linz, Oberösterreich. Ich dachte, schadet einer Juristin für die Gestaltung meiner Website sicher nicht. Dabei lernte ich erstmals die innovativen Perspektiven und Zugänge von Kreativschaffenden kennen, und wir starteten die ersten EU-Projekte. Es ist erfreulich zu sehen, dass sich die Kreativwirtschaft von einem Exoten im technologisch geprägten europäischen Innovationsökosystem zu einem Katalysator für gesellschaftliche, grüne und digitale Transformation entwickelt hat.

Derzeit bin ich in mehreren Projekten zum Thema „Creative Skills“ beteiligt. Wir befinden uns mitten in einer Skills-Revolution. Jobs von heute wird es morgen nicht mehr geben. Fähigkeiten wie Kreativität, kritisches Denken und impactorientierte Ansätze sind in einer von KI und ökologischem Wandel geprägten Arbeitswelt wichtig. Gerade Bildung und Unternehmen sind gefordert, kreative Denkansätze zu fördern, um globale Herausforderungen zu meistern.

Welche spezifischen Potenziale sehen Sie in der branchenübergreifenden Zusammenarbeit zwischen der Kreativwirtschaft und anderen Branchen?

Die Kreativwirtschaft hat das Potenzial, traditionelle Branchen grundlegend zu transformieren. Durch frische Perspektiven und innovative Ansätze können völlig neue Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle entstehen, die ohne diese kreativen Impulse undenkbar wären. Besonders spannend wird es, wenn Kreativität auf Technologie trifft: Diese Kombination erschließt neue Märkte und optimiert bestehende Prozesse.

Cross-Innovation ist wie Salzkaramell: Zwei scheinbar gegensätzliche Zutaten verschmelzen zu einer neuen, einzigartigen Geschmacksexplosion. Genauso entstehen in der Zusammenarbeit zwischen kreativen Köpfen und technologischem Know-how völlig neue, zukunftsweisende Lösungen.

Diese Symbiose führt zu einzigartigen Ergebnissen, die weit über das hinausgehen, was allein durch traditionelle Methoden möglich wäre. Unternehmen, die auf diese Weise innovative Synergien nutzen, sichern sich nicht nur einen Wettbewerbsvorteil, sondern setzen auch neue Maßstäbe in ihrer Branche.

Die Verbindung von Kreativität und Technologie ist also weit mehr als nur ein Trend. Sie ist der Schlüssel zur Erschließung neuer Potenziale und zur Schaffung bahnbrechender Innovationen.

In welchen Branchen und Sektoren sehen Sie das größte Potenzial für Cross-Innovationen?

Im Grunde genommen kann jeder Sektor von kreativen Impulsen profitieren. Doch besonders dort, wo Transformationsdruck herrscht, liegt enormes Potenzial. Drei Sektoren stechen dabei hervor: Gesundheit, Bildung und Mobilität. In der Gesundheitsbranche könnten durch die Kombination von Technologie und kreativem Design patientenzentrierte Lösungen entstehen, die den gesamten Behandlungsprozess revolutionieren. Der Bildungssektor könnte durch innovative Lernmethoden und interaktive Medien einen Quantensprung machen, der das Lernen völlig neu definiert. Und im Bereich der Mobilität könnten kreative Konzepte nachhaltige und nutzerfreundliche Verkehrslösungen hervorbringen, die unsere Städte grundlegend verändern.

Was sind die größten Hürden oder Herausforderungen, wenn es darum geht, verschiedene Stakeholder an einen Tisch zu bringen?

Die größten Hürden sind kulturelle Unterschiede und unterschiedliche Kommunikationsstile und Herangehensweisen. Jeder Sektor hat seine eigene Sprache, was Missverständnisse fördert. Vorbehalte gegenüber kreativen, unkonventionellen Ideen sind ebenfalls häufig. Der Schlüssel liegt darin, eine gemeinsame Vision zu schaffen und Vertrauen aufzubauen. Am erfolgreichsten ist Cross-Innovation als „Menage à trois“: wenn ein Facilitator die Kreativen und die Industrie/Forschung zusammenbringt und den Prozess vom Erarbeiten der gemeinsamen Vision bis zu einem angreifbaren Ergebnis begleitet. Sonst läuft der Prozess oft Gefahr, in Endlosdiskussionen zu enden.

Als internationale Projektmanagerin haben Sie viele europäische Cross-Innovationsprojekte begleitet. Auf welches Good Practice sind Sie besonders stolz und warum?

In meiner Arbeit als europäische Projektmanagerin an der Schnittstelle zwischen Kultur- und Kreativwirtschaft und anderen Forschungsbereichen und Wirtschaft begegne ich stets bahnbrechenden nachhaltigen und kreislauffähigen Konzepten. Besonders beeindruckend war ein Forschungsprojekt aus dem Jahr 2018, das mich bis heute beschäftigt: Das Projekt Re-FREAM war eine Zusammenarbeit von acht europäischen Partnern aus Forschungseinrichtungen, Industrie und Design gemeinsam mit 20 Künstler:innen und Designer:innen. Gemeinsam haben wir untersucht, wie man Mode neu denken, produzieren und verstehen kann. In diesem Projekt haben wir enorme Fortschritte in verschiedenen Bereichen erzielt: 3D-Druck von Textilien, biobasierte Materialien, automatisierte urbane Textilproduktion, Inklusion durch Smart Textiles und die Integration künstlicher Intelligenz in den Produktionsprozess.

Diese technologischen Entwicklungen waren ihrer Zeit weit voraus. Sechs Jahre später zeigt sich, dass die Ergebnisse des Projekts enormes Potenzial haben, in die industrielle Umsetzung zu kommen. Die Textilindustrie hat sich seitdem massiv weiterentwickelt, besonders hinsichtlich Nachhaltigkeit und digitaler Produktionsprozesse. Die fortlaufende Integration von Technologie und Kreativität wird die Modeindustrie weiterhin nachhaltig und zukunftsorientiert vorantreiben. Projekte wie Re-FREAM legen bereits heute die Grundlagen für die Mode von morgen – eine Mode, die wirtschaftlich, ökologisch und sozial zukunftsfähig ist.

In welcher Form werden Cross-Innovationen auf EU-Ebene gefördert? Und welchen nachhaltigen Impact haben sie bereits geleistet (gibt es Zahlen oder Erhebungen)?

Auf EU-Ebene spielt die Kultur- und Kreativwirtschaft eine strategisch wichtige Rolle, um Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und globale Herausforderungen zu bewältigen. Dies zeigt der Cluster Kultur- und Kreativwirtschaft im größten europäischen Forschungsprogramm, Horizon Europe, das mit rund 2,3 Milliarden Euro dotiert ist.

Die Kreativwirtschaft ist auch in vielen anderen Programmen präsent, da Konsortien zunehmend Designperspektiven neben technologischen und wirtschaftlichen Partnern einbeziehen. Ein wichtiger Meilenstein war die Gründung der Knowledge and Innovation Community for Culture and Creativity (KIC) vor zwei Jahren durch das European Institute of Innovation and Technology (EIT). Die KIC bringen über 9.000 Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Universitäten zusammen, um Innovationen in strategisch wichtigen Bereichen wie Klimawandel, digitale Technologien, Gesundheit, Energie und Kreativwirtschaft zu fördern. Ziel der KIC ist es, den Wissenstransfer zu beschleunigen, neue Geschäftsideen zu entwickeln und die Wettbewerbsfähigkeit Europas zu steigern.

Große europäische Initiativen wie das New European Bauhaus unterstützen ebenfalls die interdisziplinäre Zusammenarbeit, um globale Herausforderungen zu meistern. Auch auf universitärer Ebene gewinnt die STEAM-Zusammenarbeit (Science, Technology, Engineering, Arts, Mathematics) immer mehr an Bedeutung, was innovative Lösungen fördert und die Kreativwirtschaft stärkt.

Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist in vielfältigen Initiativen auf der strategischen Agenda angekommen, dadurch kann der Impact auch schwer in konkrete Zahlen gefasst werden. Die nächste Aufgabe wird es nun sein, den Einfluss von Cross-Innovation auf regionaler Ebene sichtbar und breitenwirksam spürbar zu machen.

Was könnte man ihrer Meinung nach tun, um die Zusammenarbeit zwischen Akteur:innen der Kreativwirtschaft und anderen Innovationsbranchen in NRW zu fördern und innovative Projekte voranzutreiben?

NRW ist ein spannender Hotspot für die Kreativwirtschaft. Die einzigartige Metropolregion, das industrielle Erbe und die heutige Innovationskraft erfordern lebendige Plattformen und Netzwerke sowie Matchmaking-Aktivitäten und eine Facilitatorenfunktion, um den Austausch und die Kooperation zwischen Kreativen und anderen Branchen zu fördern. Veranstaltungen, inspirierende Workshops und gemeinsame Projekte können dabei echte Synergien freisetzen. Die gezielte Förderung von herzeigbaren und angreifbaren Pilotprojekten und die engere Einbindung der Hochschulen sind entscheidend, um die Innovationskraft weiter zu steigern.

Welchen wichtigsten Tipp würden Sie Kreativen mit auf den Weg geben, um zukunftsfähig zu bleiben?

Erkennen Sie Ihre wahre Bedeutung in einer sich wandelnden Welt. Kreativschaffende sind nicht nur dazu da, Prozesse und Produkte zu verschönern, sondern sie haben das Potenzial, diese grundlegend zu verändern.

In einer Zeit, in der Innovation und Anpassungsfähigkeit entscheidend sind, spielen kreative Köpfe eine Schlüsselrolle. Seien Sie sich dieses einzigartigen Vorteils bewusst und treten Sie selbstbewusst auf. Ihre Fähigkeit, außerhalb traditioneller Denkweisen zu agieren und neue Perspektiven zu eröffnen, kann bahnbrechende Veränderungen bewirken.

Bleiben Sie mutig und experimentierfreudig, gehen Sie unkonventionelle Wege und lassen Sie sich nicht von kurzfristigen Trends einschränken. Suchen Sie nach interdisziplinärer Zusammenarbeit auf Augenhöhe und bringen Sie Ihre Ideen in verschiedenste Bereiche ein, um echte Innovation zu fördern.

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