24. 2. 2023
creative.talk

Yannic Han Biao Federer
Schriftsteller

Yannic Han Biao Federer lebt und arbeitet als freier Autor in Köln, studiert hat er Germanistik und Romanistik in Bonn, Florenz und Oxford. Erste berufliche Stationen umfassten die Badische Zeitung und die Deutsche Presse-Agentur, wo er als freier Mitarbeiter tätig war. 2018 begann er eine Tätigkeit im Bereich Öffentlichkeitsarbeit am Literaturhaus Köln. Aktuell schreibt er Romane und Erzählungen, Essays und Rezensionen, u. a. für den Deutschlandfunk, den WDR und den SWR. Sein Debütroman „Und alles wie aus Pappmaché“ erschien 2019 im Suhrkamp Verlag, ebenda folgte im März 2022 sein zweiter Roman „Tao“. Er ist Mitglied des PEN Berlin sowie des Jungen Kollegs an der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste. Für seine literarischen Texte erhielt er Auszeichnungen und Stipendien, zuletzt den Förderpreis für junge Künstlerinnen und Künstler der nordrhein-westfälischen Landesregierung im Bereich Literatur.

Foto: © Heike Steinweg/Suhrkamp Verlag

Als Journalist, Schriftsteller und Hörfunkautor haben Text und Sprache Ihr ganzes bisheriges (Berufs)leben begleitet. Welche Rolle nimmt Sprache für Sie im weiten Spektrum der menschlichen Kreativität ein?  

Für mich ist Sprache natürlich das zentrale Medium, in dem ich denke, arbeite und lebe. Das Interessante ist ja, dass sich ihre künstlerische Verwendung nicht kategorisch von der alltäglichen unterscheidet, sondern allein durch ihre Form. Während eine Malerin ihre Ölfarben eher selten in Gebrauchskontexten wiederfinden wird oder eine Violinistin ihr Spielen eher nicht von alltäglichen Geigentönen unterscheiden können muss, ist die Literatur beständig in einem Aushandlungsprozess mit der Alltagssprache. Sie nimmt sie in sich auf, aber grenzt sich auch beständig von ihr ab. Das ist ein sowohl problematischer als auch irre spannender Prozess.

Presse-, Buch- und Rundfunkmarkt sind wichtige Bereiche der Kultur- und Kreativwirtschaft. Betrachten Sie sich selbst als aktiven Teil davon, sehen Sie Berührungspunkte und Gemeinsamkeiten mit anderen Kreativen wie Designer:innen, Architekt:innen oder Musiker:innen?  

Die Ökonomie ist ja immer eine Hinsicht auf menschliches Tun, genauso wie ich menschliches Tun in ethischer, politischer oder ästhetischer Hinsicht betrachten kann. Von daher: Klar, bin ich Marktteilnehmer, ob ich das will oder nicht. Zugleich ist das Gut, das auf diesem Markt gehandelt wird, eben auch ein Ästhetisches, Ethisches und Politisches, und es ist wichtig, diese Logiken, diese Hinsichten auf menschliches Tun, voneinander unterscheiden zu können. Denn wenn ich beim Schreiben von Beginn an und fortwährend an die Verkäuflichkeit des Geschriebenen denke, bin ich verloren. Beim Schreiben muss ich dem Text und seiner freien Entfaltung vertrauen, muss ich mir und dem, was ich sagen möchte, vertrauen, muss ich schließlich auch den Menschen vertrauen, an die ich mich richte, denen ich mich mitteilen möchte. Dass ich von dem Text dann idealerweise auch meine Miete zahlen können muss, darf niemals die erste oder zweite Überlegung sein, höchstens die fünfte oder sechste, sozusagen nach getaner Arbeit, sie darf die literarische Produktion nicht dominieren oder lenken.

Sie haben eine Vielzahl an Auszeichnungen und Stipendien, u.a. das Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium der Stadt Köln und den 3sat-Preis im Rahmen der 43. Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt, erhalten. 2022 kam der Förderpreis für junge Künstlerinnen und Künstler der nordrhein-westfälischen Landesregierung hinzu. Wie wichtig sind Wettbewerbe, Stipendien und Preise für die Förderung gerade junger Autor:innen?   

Aus den oben genannten Gründen: sehr wichtig. Sie ermöglichen häufig erst die Freiräume, die Literatur braucht, um entstehen zu können. Kunst entsteht erst da, wo sich Menschen für eine Zeit der sonstigen zweckgebundenen Logik des Alltags entziehen können, um spielerisch und zweckfrei Dinge auszuprobieren, Kontingenzen zu folgen, zu experimentieren. Nur auf diese Weise kann Kunst das leisten, was die Gesellschaft dringend von ihr braucht: den neuen Blick auf das Alte. Die gewechselte Perspektive. Die Antwort auf Fragen, die keiner gestellt hat. Die Erzählung, die scheinbar Zufälliges aufliest und darin Verbindungen erkennt, gerade dadurch neuen Sinn herstellt.

Sie sind auch Lehrbeauftragter am Institut für Germanistik, Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft der Universität Bonn. Wie ist Ihr aktueller Blick auf den literarischen Nachwuchs, welche Veränderungen oder Bewegungen beobachten Sie, etwa durch den Einfluss von Social Media oder auch durch die Pandemie?  

Ich weiß nicht, ob sich diese Frage allein mit Blick auf den literarischen Nachwuchs beantworten lässt, oder allein mit Blick auf die nun hoffentlich zurückliegende Pandemie. Meine Wahrnehmung ist, dass die Gleichzeitigkeit multipler Krisen und ihre komplexen Verschränkungen deutlich machen, wie prekär und fragil die Dinge sind, die uns umgeben und verbinden. Und ich denke, dass der Literatur dabei eine gesteigerte Relevanz zukommt. Denn wenn die Literatur etwas kann, dann ist es ja die Möglichkeit, die Welt aus der Sicht von jemandem zu sehen, der nicht ich bin, also mir vorzustellen, wie es ist, in jemand anderes Schuhen zu stecken, ein anderes Leben zu führen, unter anderen Bedingungen und Zwängen zu leiden, oder andere Freiräume genießen zu können. Die literarische Imagination ist daher eine zutiefst politische, denn sie eröffnet: Gemeinsinn.

Das Klischee zeichnet Schriftsteller:innen gerne als autonome, allein an ihrem Schreibtisch sitzende Menschen. Sie sind Mitgründer des PEN Berlin, wie groß ist der Wunsch nach Vernetzung und wie wichtig ist der gegenseitige Austausch unter Autor:innen? 

Die Einsamkeit und die Stille sind schon wichtig, um lesen zu können, um schreiben zu können, um denken zu können. Aber ebenso wichtig ist es, jemandem vorlesen und darüber diskutieren zu können. Oder jemandem zuzuhören und sich seinen Reim darauf zu machen. Beim PEN geht es aber, und das ist wichtig, nicht allein um Austausch und Vernetzung, es ist auch eine NGO, die sich für die Freiheit des Wortes einsetzt, und für Kolleginnen und Kollegen, die verfolgt werden, nur weil sie tun, was sie als Autorinnen und Autoren nun einmal tun müssen, was ihr Job ist. Sehen. Hören. Fühlen. Und darüber schreiben.

Im März sind Sie zu Gast auf der lit.COLOGNE, die Überschrift des Abends lautet „Was die Stimmen der Zukunft ausmacht.“ Mit welchem Gefühl schauen Sie selbst in die Zukunft? 

Ich würde sagen: Hoffnung. Sonst kann man‘s ja gleich sein lassen.

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