18. 11. 2021
creative.talk

Uwe Schneidewind
Oberbürgermeister der Stadt Wuppertal

Der gebürtige Kölner Uwe Schneidewind studierte Ende der achtziger Jahre Betriebswirtschaftslehre an der dortigen Universität. Nach einer Zwischenstation bei einer Unternehmensberatung wechselte er an die Universität St. Gallen, wo er am Institut für Wirtschaft und Ökologie promovierte und sich habilitierte. 1998 wurde er auf die Professur für Produktionswirtschaft und Umwelt an der Universität Oldenburg berufen. Für vier Jahre, von 2004 bis 2008, war er Präsident dieser Universität. 2010 zog es Schneidewind wieder zurück nach Nordrhein-Westfalen, wo er in der „bergischen Metropole“ Wuppertal seine zweite Heimat fand. Als Präsident und wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal Institutes für Umwelt, Klima und Energie prägte er Schlüsselbegriffe wie Zukunftskunst, Reallabore und Transformative Wissenschaft. 2018 erschien sein viel beachtetes Buch „Die große Transformation – eine Einführung in die Kunst gesellschaftlichen Wandels“. Darin entwickelt Schneidewind eine Vision, wie der soziale und ökologische Wandel gelingen kann. Im Herbst 2020 wurde Uwe Schneidewind in das Amt des Oberbürgermeisters der Stadt Wuppertal gewählt.

Foto: © Stadt Wuppertal

 

Sie bezeichnen sich auf Ihrer Homepage selbst als einen Grenzgänger zwischen Wissenschaft, Management und Politik, aber auch als „Wirtschaftswissenschaftler mit Umwelt-Gen“ – Sie gelten als einer der einflussreichsten Expert:innen für Nachhaltigkeit hierzulande. Ist interdisziplinäres Denken der Schlüssel, um Veränderungen zu ermöglichen?  

In einer immer komplexer werdenden Welt gelingt Veränderung nur noch durch das kluge Zusammenspiel von Politik, Verwaltung, Wissenschaft, Kultur, Unternehmen und Zivilgesellschaft. Interdisziplinäres Denken hilft da sehr beim Vernetzen und beim Verstehen der Perspektiven anderer Sphären. Veränderung hat aber auch mit vielen anderen Elementen außerhalb des Denkens zu tun: Bei jeder Transformation geht es  um Haltung, um Mut, um Energien, um Emotionen und Stimmungen, aber immer auch um Macht und Widerstände. Ohne ein Verständnis für diese Dimensionen läuft am Ende jede noch so ausgefeilte Interdisziplinarität ins Leere.

Kunst und Kultur sind für Sie weniger spezialisierte Bereiche, sondern durchdringen und prägen die gesamte Gesellschaft. Den von Ihnen entworfenen Begriff der „Zukunftskunst“ haben Sie in einem anderen Interview als „eine lustvolle und kreative Haltung, wie wir mit den gewaltigen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts umgehen können“ beschrieben. Welche Rolle spielen in diesem Prozess die Kunst-, Kultur- und Medienschaffenden? 

Bei der Idee der Zukunftskunst geht es einmal – ganz im Beuys´schen Sinne – darum, für das kreative Potenzial zu sensibilisieren, das in jedem von uns steckt. Und dieses Potenzial wird für Veränderungsprozesse gebraucht – bei den Unternehmer:innen genauso wie bei einzelnen Bürger:innen, bei Politiker:innen oder Stadtplaner:innen. Kunst- und Kulturschaffenden kommt in Gesellschaften in Transformation darüber hinaus eine besondere Rolle zu. Denn Künstler:innen bilden einen besonderen Resonanzraum für Gesellschaften. Sie sind in der Lage, Phänomene, Stimmungen, Facetten gesellschaftlicher Realität in Formen auszudrücken, die Politik, Wissenschaft oder Verwaltung kaum zur Verfügung stehen. Damit können sie der Gesellschaft den Spiegel vorhalten, Gefühle und Stimmungen aufdecken, aber insbesondere auch Möglichkeitsräume aufzeigen. Das ist auch einer der Gründe, warum die Kulturbüros wie in Stuttgart, Witten oder Bonn, aber auch bei uns hier in Wuppertal immer mehr zu Drehscheiben für die Verhandlung urbaner Zukunft werden.

Unternehmen sind für Sie nicht nur politische, sondern auch kulturschaffende Akteur:innen. In diesem Zusammenhang gewinnen auch neue Unternehmensformen, die im Sinne des „Social Entrepreneurships“ agieren, immer mehr an Bedeutung. Welche Potenziale schlummern da Ihrer Ansicht nach in der Vermischung von „klassischer“ Wirtschaft, sozialen Innovationen und gemeinwohlorientiertem Handeln?  

Diese Formen des „Crossovers“ gemeinwohlorientierten Wirtschaftens werden an Bedeutung gewinnen. Gerade in den Städten ist derzeit eine intensive Diskussion im Gange, was eigentlich urbane Wertschöpfung ist. Und es wird immer klarer, dass sich die nicht im Bruttosozialprodukt einer Stadt allein messen lässt. Denn das kommt zunehmend nur bei einem Teil der Stadtgesellschaft vollumfänglich an. Und hier gewinnen Social Entrepreneurs gerade aus dem kulturellen Bereich an Bedeutung. Sie schaffen Werte für das (Zusammen)leben in der Stadt, die sich oft nicht monetär messen lassen, für die Lebensqualität ganz vieler in der Stadt aber von zentraler Bedeutung sind.

In Ihrem Buch „Die große Transformation“* beschreiben Sie die „urbane Wende“ als eine der sieben Wenden der Transformation. Utopiastadt – ein „Initiative ergreifen“-gefördertes Projekt und einer unserer CREATIVE.Spaces – wurde von Designer:innen gegründet und verändert jetzt einen ganzen Stadtteil in Wuppertal. Welche Rolle können insbesondere die Akteur:innen der Kreativwirtschaft in diesem Prozess spielen?

Die Akteur:innen der Kreativwirtschaft spielen in solchen Prozessen oft eine zentrale Rolle. Sie sind durch ihre Profession geschult, das Undenkbare zu denken und neue Möglichkeitsräume zu schaffen. Kreativität braucht den Mut zum Neuen und Unbekannten. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die „Neu-Erfindung“ vieler Quartiere durch Kulturschaffende passiert. Durch besondere Formen der Inszenierungen von Orten, Interventionen in den Sozialraum, aber auch der Prägung von Orientierung gebenden Begriffen: „Andauernder Gesellschaftskongress mit Ambition und Wirkung“ – diese Selbstbeschreibung der Utopiastadt-Aktiven in Wuppertal ist für mich dafür immer wieder ein wunderbares Beispiel. Hier wird mit höchster Sprachästhetik die Philosophie, Stadtentwicklung völlig neu zu denken, auf den Begriff gebracht.

Nach vielen Jahren als Präsident des Wuppertal Institut für Umwelt, Klima und Energie und einer Professor für Innovationsmanagement und Nachhaltigkeit an der Bergischen Universität Wuppertal sind Sie im November 2020 in das Oberbürgermeisteramt der Stadt Wuppertal gewählt worden und leiten nun die Verwaltung einer Stadt mit 355.000 Einwohner:innen. Was verbinden Sie mit dem Begriff der „Creative Bureaucracy“?

Für mich steht der Begriff für die Idee der Zukunftskunst in Verwaltungen. Es gilt, Verwaltungen als Kreativ-Räume zu verstehen: Verwaltungen sind ein rechtlich und organisatorisch massiv vorstrukturierter Raum. Aber mit der Beherrschung und Weiterentwicklung ihrer Regeln öffnen sich durchaus umfassende und machtvolle Gestaltungsräume. Auch die Oper ist eine hoch formalisierte Kunstform und dennoch Ort künstlerischer Kreativität. Das sollte Mut zu mehr „Creative Bureaucracy“ machen.

Im Rahmen des Projekts „Wechsel/Wirkung“ haben Sie einst mit Berthold Schneider, dem Wuppertaler Opernintendanten, für drei Wochen die Arbeitsplätze getauscht. Ziel war es, der Frage nachzugehen, inwieweit Wissenschafts- und Kulturinstitutionen in ihrer gesellschaftlichen Wirkung davon profitieren, wenn sie sich einem temporären Perspektivwechsel unterziehen. Hat Ihnen diese Erfahrung auch beim Wechsel in die Politik geholfen? 

Durchaus! Sie sehen es ja schon bei meiner Opern-Metapher in der letzten Frage. Solche Perspektivwechsel schärfen die Beobachtungsfähigkeit auf das Zusammenspiel von Menschen in unterschiedlichen Organisationskontexten. Und was mindestens genauso wichtig ist: Durch den Kontextwechsel lernt man auch sich mit seinen Stärken und Limitationen noch klarer kennen. Und letztlich besteht jedes gute Führungsverhalten darin, dass man sowohl mit sich als auch mit anderen gut klarkommt!

* Uwe Schneidewind: Die große Transformation. Eine Einführung in die Kunst des gesellschaftlichen Wandels. Hrsg. von Harald Welzer und Klaus Wiegandt. Fischer Taschenbuch, 2018  

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