30. 9. 2022
creative.talk

Thomas Riedel
Tech-Journalist

Seit mittlerweile über zehn Jahren arbeitet der selbsternannte Tech-Nerd und Early-Adopter Thomas Riedel nun als freier Journalist, Moderator und Kurator für digitale Events. Nach dem Studium der Philosophie und Germanistik in Tübingen hatte es ihn nach Köln verschlagen, wo er eigentlich „was mit Medien“ machen wollte. Während des Volontariats bei einem Stadtmagazin entstand zunächst die Idee für seinen Blog DROID BOY und das (inzwischen eingestellte) Medien-Start-up Nerdhub, zusammen mit Stefan Vosskötter erfand Riedel dann das Magazin Digitale Leute und den Digitale Leute Summit. Sein 2021 gestarteter „Metaverse Podcast“ ist bereits bei Folge 24 angekommen. Höchste Zeit, mit ihm als ausgewiesenen Experten über das Hype-Thema der Stunde einmal etwas ausführlicher zu sprechen.

Foto: Simon Veith

Im Spiegel beschrieb Sascha Lobo kürzlich das Metaverse als eine „digitale Oberfläche mit der Anmutung eines begehbaren Raums, in dem man sich umschauen kann“. In Ihren Worten: Wovon reden wir eigentlich genau, wenn wir vom Metaverse sprechen?

In Sascha Lobos Artikel wird der Erfolg des Metaverse mit dem eines Headsets gleichgesetzt. Aber auch er unterschätzt das Metaverse als „Internet mit mehr Immersion“. Das Metaverse lese ich gerne als ein Netzwerk aus VR-Experiences, die nicht irgendwie, sondern auf Metaverse-Art miteinander verbunden sind. Was bedeutet das, und woher habe ich das? Ich nehme das aus der einzigen Quelle, die uns zur Verfügung steht, nämlich dem 1992 erschienenen Buch „Snow Crash“. Darin wird ein relativ kleines Metaverse beschrieben, in dem Nutzer in ihrem Avatar von einer Location zu einer anderen gehen können, indem sie die Straße nutzen. Es ist die einzige Straße, und darum messe ich ihr metaphorischen Wert zu. Das Metaverse ist ein Netzwerk aus Experiences, die durch eine Straße miteinander verbunden sind. Diese Straße, das HTML des Metaverse, wenn man so will, gibt es noch nicht. Nvidia und andere vom „Metaverse Standards Forum“ arbeiten allerdings bereits daran. Das Dateiformat, das sie sich dafür ausgesucht haben, ist USD (= Universal Scene Description – Anm. d. Red.). Damit soll es möglich sein, so von einer Experience zu einer anderen zu gehen, als ob sie mit einer Straße verbunden wären.

Im November 2021 haben Sie als Erster hierzulande angefangen, dem Metaverse eine eigene Podcast-Reihe zu widmen. Einen Monat zuvor hatte Mark Zuckerberg seine berühmte Keynote zum Thema gehalten. Was waren Ihre Gründe, den „Metaverse Podcast“ zu starten? 

Mit dem Metaverse hatte sich mir ein Thema geboten, für das ich alle meine journalistische Erfahrung im Tech-Bereich einsetzen kann und an dem ich aufzeigen kann, wie die Tech-Branche funktioniert. Das Metaverse-Thema lässt sich unter vielen Aspekten beleuchten. Es ist sowohl Consumer Electronics als auch BigTech. Es geht um Games, aber auch um banale digitale Produktentwicklung. Es geht um Narrative für eine bessere Welt und gleichzeitig um Plattformökonomie. Es geht um ein neues Medium, das in der Bildung, im Journalismus oder von Kreativen eingesetzt werden kann, und es geht auch um Regulierung und die Frage, wie viel Technologie wir eigentlich noch brauchen, um die Probleme dieser Welt zu lösen. Am Nabel der Zeit zu arbeiten und diese brennenden Themen anhand des Metaverse zu besprechen, zeichnet meinen Job als Tech-Journalist aus. Da ich außerdem nach einem neuen Podcast-Thema suchte, das ein bisschen zugänglicher war, habe ich die Domain reserviert, und drei Tage später war die erste Episode draußen.

In der ersten Folge nennen Sie das Metaverse eine „Zukunftsvorstellung“ – etwas, das mit Sicherheit auf uns zukommen wird, aber nur in Ansätzen bereits existiert. Stand heute, in welchem Stadium befindet sich das Metaverse? 

Das Metaverse ist immer noch mehr Zukunftsnarrativ und Marketinghype als real. Noch braucht sich niemand abgehängt fühlen. Bis wir dahin kommen, von einem Metaverse zu sprechen, wird es auch noch Jahre dauern. Selbst Mark Zuckerberg geht davon aus, dass es fünf bis zehn Jahre dauern könnte, bis wir erste Ansätze eines Metaverse sehen. Was wir heute schon haben, sind die Basistechnologien, mit denen wir so ein Metaverse-Netzwerk bauen könnten. In etwa so, wie wir damals das Telefon hatten, um darauf aufbauend Protokolle für das Internet-Netzwerk zu entwickeln. Was letztendlich von diesen vielen Experimenten, die wir gerade durchführen, zu einem Metaverse-Netzwerk führen wird, ist völlig offen.

In der vom Mediennetzwerk.NRW in Auftrag gegebenen Studie „Cross Reality in Deutschland 2022“ – deren Präsentation Sie kürzlich moderiert haben – sieht die Mehrheit der Befragten die größten Metaverse-Potenziale im B2C-Markt. Wie ist Ihre Einschätzung?

Eine Technologie, die es in den B2C-Markt schafft, verspricht natürlich den meisten Profit. Und Meta will nichts anderes, als sehr viel Profit machen. Metas Vorstoß ins Metaverse ist der nächste Versuch, immersive Medien endlich zum Mainstream zu machen. Schaut man sich die Chancen dafür an, dann war es noch nie zuvor so realistisch anzunehmen, dass das funktionieren kann. Ich teile also diese Einschätzung. Die Studie XR in Deutschland 2022 zeigt allerdings auch: XR ist vor allem B2B, zum Beispiel im Trainingsbereich, in der Ausbildung und in Produktpräsentationen. Und XR hat auch erst einmal nichts mit dem Metaverse-Hype zu tun. Denn eine einzelne XR-Trainings-Umgebung ist nicht das Metaverse und noch nicht Teil eines Metaverse-Netzwerks. Würde morgen der Metaverse-Hype aufhören, dann gäbe es noch immer eine stetig wachsende XR-Branche in Deutschland. Die Studie in diesem Jahr zeigt auch, dass sie vom Metaverse profitiert. Die Sinnhaftigkeit der Technologie hat sich durch den täglichen Einsatz in den Unternehmen gezeigt. Sollte das Metaverse in fünf bis zehn Jahren einen Durchbruch haben, dann wird wie im Internet das Thema auch B2B sein. Bleibt zu hoffen, dass hiesige Unternehmen nicht wie im Internet Facebook-Agenturen werden, sondern es schaffen, sich eine Position wie Spotify oder SAP zu erarbeiten.

Das Metaverse ist bereits eng mit der Software- und Gamesindustrie verbunden, aktuell die größte, wirtschaftlich stärkste Branche innerhalb der Kreativwirtschaft. Welche Schnittstellen sehen Sie zu anderen Bereichen der Kultur- und Kreativwirtschaft? Warum sollten sich Kreative mit dem Thema Metaverse beschäftigen? 

Besonders spannend finde ich den Audio-Bereich. Schicke Grafik ist schick, wird aber erst durch den passenden Sound glaubhaft und in die Welt gesetzt. Aktuell erleben wir vor allem durch Apple eine neue Welle von 3D-Sound. Jeder Apple-Kopfhörer kann Dolby Atmos, vielleicht in Vorbereitung auf das sich in Entwicklung befindende Headset. Das Metaverse ist ohne 3D-Sound-Technologien und die dazugehörige Kreativszene undenkbar, und der durch den Metaverse-Hype steigende Bedarf an Audioproduktion sollte hier Sounddesigner und Komponisten aufhorchen lassen. Hier gibt es einiges zu designen und zu komponieren. Dafür müssen sich die Kreativen allerdings auch mit den entsprechenden Technologien vertraut machen, zum Beispiel einer Game Engine. In Sachen Barrierefreiheit stellt sich zudem die Frage, wie ein Metaverse erlebbar sein soll für Menschen mit Sehbehinderungen. Ein auditives Metaverse, das sogar ganz ohne Bild auskommt, würde ich gerne hören!

Das Metaverse existiert bereits in popkulturellen, eher dystopischen Sci-Fi-Erzählungen. Nimmt man deren Lektüre als Blaupause: Was dürfen wir uns erhoffen, was müssen wir befürchten, wenn aus der Fiktion langsam Realität wird?

Wir sollten alles dafür tun, dass die dystopischen Erzählungen aus Science-Fiction-Romanen und deren Verfilmungen nicht real werden. Die Oasis in Ready Player One funktioniert ja vor allem deswegen so gut, weil die echte Welt am Abgrund steht. Das sind in der Tat Warnungen. Es hilft, sich klarzumachen, dass Narrative nicht die eine Zukunft sind. Sie sollen uns stattdessen helfen, Zukünfte zu entwickeln, mit unserer Fantasie, um dann die Zukunft herauszusuchen, die wir für erstrebenswert und sinnvoll erachten.

Ihr aktuelles Projekt ist die Podcast-Reihe „Future Future“, die sich dem Thema Zukunft widmet, ein Begriff, der nicht nur in der Kreativwirtschaft omnipräsent ist und geradezu inflationär verwendet wird. Worum genau geht es in diesem Podcast? 

In Future Future geht es darum, Zukunftskompetenz zu vermitteln. Als eine Variante der Medienkompetenz geht es darum, Zukunftserzählungen gegenüber kritisch sein zu können und sich nicht zum Werkzeug von Apologeten machen zu lassen. Wenn jemand behauptet, er kenne die Zukunft nur allzu genau, immer dann muss er diese Zukunftskompetenz einschalten und fragen: Ist das wirklich so? Wer sagt das? Was verspricht sich der Apologet davon, und was soll ich für ihn tun oder von ihm kaufen? Der Metaverse-Podcast ist im Grunde die Anwendung dessen, was ich durch Future Future gelernt habe. Auch das Metaverse versammelt viele Apologeten, die mit ihren Zukunftsnarrativen schnelle Münze machen wollen. Ganz besonders will ich vor Crypto-Projekten warnen. Hier liegen alle positiven Eigenschaften in der Zukunft, aber mit den negativen haben wir schon heute zu kämpfen. Darum: Finger weg von Crypto-Kram!

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