20. 11. 2019
creative.talk

Stefanie Raab
coopolis

Stefanie Raab, Dipl.-Ing. Architektur, ist Moderatorin, Inhaberin und Geschäftsführerin des coopolis Planungsbüro für kooperative Stadtentwicklung GmbH. Sie gründete 2003 die bundesweite erste Zwischennutzungsagentur, entwickelt und realisiert Instrumente der Gewerbeflächenaktivierung, des Leerstandsmanagements und des Ansiedlungsmarketings. Als Creative Supporterin initiiert und begleitet sie Netzwerke der Kultur- und Kreativwirtschaft, berät Unternehmen, Hausverwaltungen, Kommunalverwaltungen, Eigentümer und freie Träger bei der Projektentwicklung, zu Fördermöglichkeiten, integrierter Stadtentwicklung und stadtverträglichem Tourismus.

Wie sieht für Sie ein Ort aus, der gutes Leben, aber auch gutes Arbeiten und gute Arbeit ermöglicht? 

Gute Arbeit in der Kultur und in der Kreativwirtschaft entsteht, wenn die Akteur:innen in Ruhe ihren Herzensprojekten folgen können. Sie entsteht dann, wenn der ökonomische Druck nicht zu hoch ist. Langfristig günstige Raumnutzungsbedingungen sind dafür eine wesentliche Voraussetzung, ebenso ein Netzwerk von Gleichgesinnten, mit denen ein vertrauensvoller Austausch und gegenseitige Unterstützung möglich sind.

Welche Impulse braucht es, um einen solchen Ort zu gestalten?  

Impulse kommen oft aus übergeordneten Bedarfen: In Quartieren mit besonderen Entwicklungsbedarfen beispielsweise investieren Kulturschaffende und Kreative oft ihr soziales und kulturelles Kapital, um die Gemeinwesenbedarfe zu erfüllen. Wenn diese Kapitalformen von den Immobilieneigentümern als gleichwertige Investitionen zu ökonomischem Kapital anerkannt werden, kann über langfristig gesicherte günstige Raumnutzungsbedingungen ein Return of Invest im Sinne der Gemeinwohlökonomie stattfinden.

Was ist für Sie Good Work, und wo liegen die Schnittstellen zur Stadtentwicklung? 

Good Work bezieht sich auf die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit: die ökonomische, aber auch die soziale und ökologische Nachhaltigkeit. Sie entsteht dann, wenn durch innovative Ansätze CSR (Corporate Social Responsibility) in den Produktionsprozessen systemimmanent verankert ist. Während in Großbetrieben die Effekte meist für das eigene Unternehmen genutzt werden können, wirken sich gerade die CSR-Ansätze kleiner und kreativer Unternehmen auf positive Entwicklungen im Stadtteil aus – zum Beispiel, wenn die Künstlerin ihre Ateliertüren auch für bildungsferne Jugendliche im Stadtteil öffnet und so Zugänge zu künstlerischen Praktiken der Selbstentfaltung für Zielgruppen schafft, die hierzu ansonsten wenig Zugang haben. Oder wenn der engagierte Comiczeichner komplexe Vorschriften im Aufenthaltsrecht für Menschen mit Fluchterfahrungen in einfacher (Bild-)Sprache aufbereitet. Die Schnittstellen entstehen dann, wenn es Mittler gibt, die diese Potenziale mit den lokalen Bedarfen verknüpfen.

Welche Ebenen hat eine erfolgreiche kooperative Stadtentwicklung? Und was wird im Prozess oft unterschätzt oder findet zu wenig Beachtung?  

Die unterschiedlichen Dimensionen einer erfolgreichen kooperativen Stadtentwicklung hängen eng mit den vor Ort vorhandenen Ressourcen zusammen. Dies können spezifische lokale Kompetenzen sein, die auf spezifische Bedarfe treffen, wie Leerstand und Raumbedarfe, kreatives Potenzial und alltägliche Herausforderungen, aber auch die Fähigkeit, gemeinsam zu feiern, sowie Toleranz und Offenheit sind wichtige Ressourcen für eine kooperative Stadtentwicklung. Zu wenig Beachtung findet oft, dass Sorge dafür getragen werden muss, dass „der Deal stimmt“, also dass sich die Investition von sozialem und kulturellem Kapital für diese „Investoren“ auf die Dauer genauso lohnt wie für den Investor ökonomischen Kapitals sein lokales Engagement.

Sie sind in 2003 noch unter dem Namen zwischen|nutzungs|agentur gestartet. Welches Potenzial bietet die Ressource Leerstand? Und wie hat sich die Leerstandsnutzung seit damals verändert? 

Ab 2005 konnten wir in Nord-Neukölln in enger Kooperation mit den lokalen Eigentümern, größtenteils kleinen Amateurvermietern, Gewerbeleerstand als Ressource für die Schaffung innovativer sozialer und kultureller Angebote nutzen. Heute wird dieser Standort zunehmend durch große Kapitalgesellschaften aufgekauft, die sich nun am gewandelten Image des Stadtteils bedienen und teilweise Gewerbemieten aufrufen, die die lokale Kultur- und Kreativwirtschaft nicht mehr bedienen kann. Wir sehen das kritisch, weil kulturelle und soziale Angebote dem Druck des Immobilienmarktes nicht mehr standhalten, ohne dass dieser einen adäquaten Beitrag zur qualitativen Weiterentwicklung des Standortes und zur Stabilisierung von Vielfalt und Lebensqualität leistet.

Welche Strategien gibt es, um solche Entwicklungen zu verhindern und einen echten Mehrwert für alle Beteiligten zu schaffen? Was können Städte, was können aber auch Kreative anders und besser machen?  

Langfristige Erbpachtverträge anstatt kurzfristiger Zwischennutzungen nach einer relativ kurzen und risikofreien Testphase sind eine gute Idee, Standorte dauerhaft gemeinwohlorientiert zu entwickeln und sie den spekulativen Logiken des sogenannten freien Marktes (der viele unfrei macht) entzieht. Das Städtebaurecht bietet da gute Möglichkeiten: Im Herzen Neuköllns wurde eine alte Brauerei, anstatt dort den nächsten hochwertigen Einzelhandelsstandort auszuweisen, langfristig als „Sondernutzungsfläche Kultur“ gesichert. Was dazu beitrug, dass die Bodenpreise relativ stabil blieben und so vor wenigen Jahren eine gemeinwohlorientierte Stiftung das Gelände erwerben konnte – welches nun zur Heimat für zahlreiche nachhaltige und soziale Projekte wird, die teilweise die Bedarfe der direkt in der Umgebung lebenden Bevölkerung adressieren.

Welche Beispiele gibt es für eine gelungene kooperative Stadtentwicklung?  

Na, ich hoffe mal, dass wir in wenigen Jahren sagen können: Remscheid-Honsberg gehört auf jeden Fall dazu!

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