Ralph H. Christoph ist einer der Gründer des c/o pop Festivals in Köln. Von 2004 bis 2007 war er Programmleiter des Festivals. Seit 2014 leitet er die c/o pop Convention. Für verschiedene Partner, u.a. das Goethe Institut, initiierte er zahlreiche Projekte u.a. in Indien, China und Brasilien. Zuvor war er als Autor und Redakteur (u.a. SPEX) tätig. 1998 eröffnete er den Kölner Club STUDIO 672 und hatte eine Künstler- und Veranstaltungsagentur. Das c/o pop Festival und die c/o pop Convention wurden aufgrund der Corona-Pandemie von April auf den 21. bis 24. Oktober 2020 verschoben.
Ralph Christoph
cologne on pop GmbH
Auch Sie gehören zu den Veranstalter:innen, deren Pläne von einem auf den anderen Tag umgeschmissen wurden. Wie sind Sie mit der Situation umgegangen – Krisen- oder Aufbruchstimmung?
Natürlich herrschte zu Beginn eine sehr große Frustration darüber, dass wir alles absagen werden müssen. Das Programm war ja komplett fertig, die Arbeit eines ganzen Jahres schien plötzlich umsonst gewesen zu sein. Gerade bei Projekten wie einem Festival oder einer Konferenz, wo auf einen bestimmten Punkt, manchmal ja auch nur einen Tag, hingearbeitet wird, ist das natürlich eine Katastrophe. Aber wir haben sehr schnell und auch überraschender Weise sehr effektiv in den Krisenmodus geschaltet – selbstredend mit allen Hürden, die damit verbunden waren. Aber das Team wurde von einem sehr solidarischen Miteinander im Homeoffice und während des Lockdowns zusammengehalten, das war eine gute Erfahrung. Und als dann klar wurde, dass unsere Fördergeber*innen den Weg mitgehen würden, eine digitale Ersatzveranstaltung auf die Beine zu stellen, machte sich auch wieder Aufbruchstimmung breit – zumal wir plötzlich an etwas völlig Neuem zu arbeiten begannen.
Nun findet vom 21. bis 24. Oktober 2020 mit c/o pop xoxo eine coronagerechte Sonderedition statt. Was dürfen die Besucher:innen erwarten?
Es war schnell klar, dass wir nicht parallel eine Präsenzveranstaltung und eine Online-Version planen können – dafür ist beides viel zu unterschiedlich. Daher haben wir uns sehr früh und bewusst für eine digitale Variante entschieden. Das hatte den Vorteil, dass wir die Zeit effektiv nutzen konnten, um etwas genauer hinzuschauen, was wir eigentlich wollen und wie wir das umzusetzen gedenken. Allzu viele Erfahrungswerte oder vergleichbare Events gab es ja noch nicht zu dem Zeitpunkt, als wir mit den Planungen begonnen haben. Was können die Zuschauer:innen erwarten: einen wirklich flachen Einstieg in unseren Stream, der eine Mischung aus Festival und Konferenz sein wird und der jede Menge neue Formate jenseits von Panels und Konzerten beinhalten wird. Der Stream wird zweieinhalb Tage laufen und kostenfrei zugänglich sein. Flankiert wird das Ganze von Aktivitäten und Aktionen auf unseren Social-Media-Kanälen. Die meisten Programmpunkte werden dann unterschiedlich lange noch auf unserer Seite abrufbar sein. Das Ganze wird eine Mischung aus vorproduzierten Inhalten und Beiträgen sein, die wir on location im Oktober aufnehmen. Dabei produzieren wir tatsächlich das meiste selbst und arbeiten nur in wenigen Ausnahmen mit angeliefertem Material. Wer sich online kostenfrei registriert, hat zusätzlich die Möglichkeit, an diversen Expert- und Breakout-Sessions teilzunehmen. Die ersten Programmteile werden in dieser Woche veröffentlicht.
Ein gestreamtes Konzert oder Panel kann das Liveerlebnis nicht ersetzen. Wie wollen Sie die Leute locken?
Wir setzen auf eine Mischung der Inhalte und heben die sonst gängige Trennung von Festival und Convention auf. Zudem passen wir die Formate und Längen dem Online-Nutzungsverhalten so weit wie möglich an. Es wird also auch viele kürzere Beiträge geben. Thematisch wollen wir den Weg weitergehen, den wir in der analogen Welt bereits eingeschlagen haben: branchenspezifische Themen stärker „auf die Straße“ zu bringen und zum Festivalpublikum hin zu öffnen. Hier eröffnet c/o pop xoxo andere Möglichkeiten, das zu erreichen. Für die musikalischen Beiträge haben wir eigens, zum Teil zusammen mit den Künstler*innen, Beiträge entwickelt, die über rein konzertante Formate hinausgehen. Und wir haben ein spezielles Bühnendesign entwickelt. Alles in allem kann man sagen: Wir machen jetzt Online-Fernsehen.
Die Musikbranche ist, wie viele andere Branchen der Kultur- und Kreativwirtschaft, besonders stark von den Auswirkungen der Pandemie betroffen. Inwiefern wird die c/o pop xoxo auch inhaltlich auf die aktuelle Situation eingehen?
Wir haben ja bereits während des Lockdowns Diskussionsrunden zum Thema gestreamt, vor allem, wenn es um die Zukunft der Club- und Veranstaltungswirtschaft geht, die ja für uns die Grundlage jeder Planung und Umsetzung bildet. Wenn diese Struktur erodiert oder kaputt geht, dann sind auch wir als Festival davon betroffen. Insofern haben wir alle Themen, die wir ursprünglich auf der Convention behandeln wollten, einmal durch den „Corona-Filter“ gejagt, um zu prüfen, ob wir das inhaltlich nachjustieren müssen oder ob das Thema nun keine Relevanz mehr hat – oder eben deutlich mehr! Aber grundsätzlich ist es unmöglich, ein Thema ohne den Bezug zu den Auswirkungen der Pandemie zu bearbeiten. Wie immer wollen wir dabei aber nach vorne schauen.
Viele Musiker:innen haben ihr Geld bislang vor allem über Live-Auftritte verdient. Das fällt nun zum großen Teil weg, und es ist nicht sicher, wie lange die Situation noch anhält und wie das Live-Business „nach Corona“ aussieht. Wie ist Ihre Prognose: Muss man sich auch für die Zukunft mit alternativen digitalen Konzepten und Erlösmodellen rüsten?
Ich denke nicht, dass das Erlösmodell „Live-Industrie“ durch ein auch nur annähernd adäquates digitales Modell ersetzt werden kann und wird. Gerade die Musikindustrie hat ja gerade eine gewaltige Transformation durchgemacht und die Live-Industrie zur neuen wichtigsten Säule bei der Wertschöpfung entwickelt – mit allen auch negativen Auswüchsen, die so etwas mit sich bringt. Hier wird es zu massiven Veränderungen kommen, das ist völlig klar. Es gilt, schnell und vor allem zusammen mit der Politik und der Verwaltung zusammen Konzepte zu entwickeln, wie wir uns eine pandemiegerechte Live-Industrie vorstellen. Dabei wird man viele neue Wege gehen können, vor allem wenn man das Silo-Denken der einzelnen Kultur- und Veranstaltungsbranchen überwindet.
Die Corona-Krise fungiert in vielen Bereichen auch als Motor für Innovationen. Welche innovativen Best-Practices aus der (internationalen) Musikbranche gibt es bereits?
Die jetzt wieder steigenden Fallzahlen zeigen, dass ein Zurück zum Normalbetrieb vorläufig eine Illusion ist. Und wie in vielen anderen Bereichen der Wirtschaft erhält auch unsere Branche einen deutlichen Schub in Bezug auf digitale Produkte. Aber es wäre ein fataler Fehler, hier auf das schnelle Geschäft zu zielen. Schon jetzt gilt vielen Branchenkenner:innen z. B. der Podcast-Markt, der stark vom geänderten Konsumverhalten in der Krise profitiert hat, als völlig überhitzt. Die größte Herausforderung wird sein, den nicht stattfindenden analogen Austausch, der quasi das Schmiermittel – nicht nur der Musikindustrie! – ist, mit neuen, praktikablen Plattformlösungen aufzufangen. Daran arbeiten viele unserer Kolleg*innen auf der ganzen Welt, und es wird sich zeigen, ob und wie schnell wir da zu Lösungen kommen werden.
Wie könnte eine Musikwirtschaft aussehen, die generell mehr Resilienz gegenüber Krisen wie Corona entwickelt?
Eine Frage, die die Musikwirtschaft nicht für sich allein wird beantworten können. Es ist unserer Meinung nach unumgänglich, sich hier mit anderen Branchen zusammenzusetzen. Gleichzeitig beschleunigt die Krise auch Prozesse, die das Thema Nachhaltigkeit stärker in den Mittelpunkt stellen: Energieeffizienz oder CO2-Bilanz sind da nur zwei Themen.
Was kann und sollte die Politik tun, um insbesondere die Musikwirtschaft besser zu unterstützen?
Die Branchenverbände haben in der Krise bisher sehr gut zusammengearbeitet und ihre Forderungen immer wieder mit Nachdruck an die Politik adressiert. Dies alles ist auch in das Programm NEUSTART KULTUR des Bundes eingeflossen. Viele Probleme sind aber leider nach wie vor nicht gelöst, so z. B. die wenig passgenaue bis fehlende Unterstützung für die vielen Soloselbstständigen, die – wie auch sonst in der Kreativwirtschaft – das Rückgrat der Musikbranche bilden. Hier sehen wir ganz deutlich, dass Kulturpolitik nicht von Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik entkoppelt werden kann!