15. 6. 2021
creative.talk

Rainer Bode
Kulturberater

Rainer Bode war Geschäftsführer (seit 1990) der LAG Soziokultureller Zentren Nordrhein-Westfalen (LAG NW, www.soziokultur-nrw.de), langjähriges Mitglied im Vorstand der Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren (jetzt: Bundesverband Soziokultur) sowie im Vorstand vom Fonds Soziokultur. Er ist Mitgründer und ehemaliger ehrenamtlicher Geschäftsführer vom Kulturcentrum cuba in Münster seit den 1980er-Jahren, Mitglied im Beirat der Künstlersozialkasse seit 1993 und außerdem im Koordinierungsausschuss im Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) aktiv. Mit dem Beginn der Pandemie im März 2020 wurde Rainer Bode aus dem wohlverdienten Ruhestand geholt, um die Corona-Kultur-Sprechstunde des Kulturrat NRW mit zu übernehmen.

Foto: Dario Ronge

Die Corona-Sprechstunde des Kulturrats NRW begann Ende April 2020 und war ursprünglich nur als vierwöchiges Pilotprojekt angelegt. Wie erinnern Sie sich heute an die damalige Situation?

Zum jetzigen Zeitpunkt liegt das etwas verschwommen zurück. Ich war seit Januar 2020 Rentenbezieher, hatte einen Umzug hinter mir, und dann kam Corona. Alles war neu und anders, und dann kam im April in Anfrage, die Beratung zu machen. Es war auf der einen Seite vollkommen ungewiss, was auf mich zukam. Auf der anderen Seite kannte ich mich schon aus im „Förderdschungel“, aber jetzt war alles neu. Also ging es darum, sich Stück für Stück da einzuarbeiten, und das wurde dann auch von Tag zu Tag interessanter.

Mittlerweile läuft Ihre Beratung telefonisch zu bestimmten Sprechstunden-Zeiten sowie zusätzlich per Mail, es gibt außerdem ein umfangreiches FAQ auf der Seite des Kulturats sowie das Angebot wöchentlicher Webinare, in denen vor allem rechtliche Fragen erörtert werden. Schaffen Sie es mit diesem breiten Angebot, die sicher immer noch große Nachfrage zu stillen, und wo identifizieren Sie noch die größten Fragezeichen?

Diese Aufgaben und Themen sind aufgeteilt. Die Webinare werden vom Kulturrat NRW und Landesbüro Freie Darstellende Künste mit Steuerberater*innen durchgeführt. Für die FAQs haben Harald Redmer (er war bis Ende 2020 auch Berater) und ich die Grundlagen erarbeitet für die Seiten vom Kulturrat. Im letzten Jahr hatten wir zum Teil an vier bis fünf Tagen Sprechstunden angeboten. Jetzt mache ich in der Regel einmal die Woche eine zweistündige Sprechstunde, und dazu gebe ich Antworten per Mail oder auch zwischendurch. Die Nachfragen ergeben sich in Intervallen, nämlich zum einen dann, wenn die neuen Förderprogramme kommen, und zum anderen, wenn diese abgerechnet werden müssen. Es gibt ruhige Phasen mit wenig Nachfragen, und dann gibt es Situationen, wo das Telefon nicht stillsteht.

Mit den sogenannten Soforthilfen der Länder ging es Ende März 2020 los, darauf folgten unzählige unterschiedliche Hilfsprogramme, Förderungen, Zuschüsse für Solo-Selbstständige, Kreative und Kulturschaffende auf kommunaler, Landes- und Bundesebene. Rückblickend betrachtet, wie sinnvoll und zielführend waren diese Angebote aus Ihrer Sicht? Was hätte besser laufen können? 

Da gibt es sicher viele Punkte, die aber umfassend noch mal genauer untersucht werden müssten: Gut war, dass schnell geholfen wurde und die Soforthilfe NRW relativ umgehend ausgezahlt wurde. Auch war die Kultursoforthilfe relativ schnell am Start. Aber da gab es den ersten Fehler. Es wurde falsch eingeschätzt, wieviel Künstler*innen das beantragen würden. Schon nach fünf Tagen war das Geld aufgebraucht, und alle, die später einen Antrag stellen wollten, gingen erst einmal leer aus. Die Korrekturen an den diversen Programmen liefen dann zu zaghaft, und erst im Mai gab es neue Bestimmungen und Förderungen. Wir haben frühzeitig auf das Problem hingewiesen, und viele sind damals schon durch das Raster gefallen. Bei der Soforthilfe änderten sich die Bedingungen zum 1. April 2020, und das führt, bis heute, zu großem Unmut. Der „Unternehmerlohn“ war erst möglich, dann wieder nicht und dann nur unter bestimmten Bedingungen und nicht für den ganzen Zeitraum. Und viele Künstler*innen hatten kaum oder wenig Betriebsausgaben, die sie dann anrechnen können. Weitere Korrekturen wurden dann erst im September gemacht. Die weiteren Förderprogramme wie die Überbrückungshilfen I bis III wurden dann immer komplizierter, aufwändiger in der Beantragung, und es wurde zur Pflicht, dass das nur Steuerberater machen durften. Mir erschien das als Wettbewerb, wer kann die Förderung am kompliziertesten machen? Gut war in NRW, dass diese Überbrückungshilfen mit 1.000 Euro monatlichen Lebenshaltungskosten unterlegt waren, sofern man antragsberechtigt war. Die neuen Programme wie die Neustarthilfe und dann insbesondere die „Auf geht's!“ - Stipendienprogramme haben dann vieles wieder wettgemacht.

Der Kulturrat hat sich in einer Vielzahl von Stellungnahmen und Pressemitteilungen sowie in den Corona-Rundbriefen auch kritisch mit den politischen Entscheidungen auseinandergesetzt und immer wieder versucht, den Kulturschaffenden, Veranstalter:innen und Künstler:innen eine Stimme zu geben. Welche Lehren ziehen Sie in diesem Zusammenhang aus den vergangenen 15 Monaten? Finden die Belange der Kultur mittlerweile ausreichend Gehör? Was können die Kulturschaffenden ihrerseits tun, um stärker auf ihre Situation aufmerksam zu machen?

Da muss man unterscheiden, was der Kulturrat NRW auf der einen Seite als Interessenverband nach außen gibt und wofür er sich einsetzt. Ich selbst mache das direkt innerhalb der Corona-Sprechstunden und auch als Mail (bin jetzt bei Nr. 73) – die Beratung und auch die kritischen Bemerkungen ergeben sich dann aus den darin auftretenden Problemen. Außerhalb der Sprechstunde habe ich dann noch mit anderen Leuten zusammen die Kulturinitiative 21 aufgebaut, wo wir mit Aufrufen, Briefen an die Bundes- und Landespolitik unsere Erfahrungen und Forderung mitteilen.

Auf der einen Seite finden unsere Stimmen und viele der Kulturinstitutionen und -verbände Gehör, aber die Umsetzung der Unterstützung ist zum Teil noch mangelhaft. Das liegt sehr viel am Bund und dessen Misstrauen gegen Förderempfänger*innen. Da muss noch viel geändert werden. Ich weise immer wieder auf das Schreiben vom Finanzministerium NRW vom 1. April 2020 hin. Darin heißt es u.a.: „Soweit im Fördervollzug ein Ermessensspielraum besteht, ist dieser im Zusammenhang mit der aktuellen Krisensituation großzügig auszulegen.“ D.h. die Behörden haben die Aufgabe, so weit wie möglich Kunst und Kultur zu ermöglichen oder hier Unterstützungen zu leisten und nicht die Haltung an den Tag zu legen: „Geht nicht, haben wir noch nie gemacht, und wir sind nicht dafür zuständig“. Da hat sich viel bewegt, aber es gibt noch genug Luft nach oben.

Die Pandemie hat die Digitalisierung in vielen Lebensbereichen noch einmal kräftig vorangetrieben. Auch die Kulturschaffenden mussten fast alle ihre Aktivitäten in den digitalen Raum verlegen. Bei allen Vorteilen, die das Digitale bietet – was hat das vergangene Jahr mit dem soziokulturellen Wesen Mensch gemacht? Was passiert mit der Kultur ohne tatsächliche Berührungen und echten Kontakt? 

In vielen Berichten, die ich in den Sprechstunden und vor kurzem auch in einer Zoom-Runde zu hören bekam, war das immer ein wichtiger Punkt. Für die einen brach die Welt auseinander, es fehlten das Publikum, die direkte Reaktion und vieles andere mehr. Für andere war es erst einmal eine Ruhepause, es gab Zeit, zu überlegen und neue Konzepte zu entwickeln, insbesondere die Digitalisierung dann auch umzusetzen. Es entstanden neue Ideen und Formate. Aber für viele war nicht nur die finanzielle Situation prekär, so dass sie gezwungen wurden, sich nach was Neuem umzusehen. Wieder andere haben verstärkt „aufgerüstet“ und nehmen die Digitalisierung als neue Chance wahr. Wir brauchen erst ein paar Monate, um dann zu sehen, wie es wirklich läuft.

Hat die Pandemie die Kulturlandschaft nachhaltig verändert? Welche neuen Wege der Kulturproduktion haben sich eröffnet, welche Chancen sind aus der Krise entstanden? 

Ich glaube, das kann und sollte man jetzt noch nicht bewerten bzw. nicht zu früh Schlussfolgerungen daraus ziehen. Die Gesellschaft und damit auch die Kulturlandschaft werden sich ändern und auch ändern müssen – ob durch hybride Veranstaltungen, neue Ideen in der Zusammenarbeit oder auch neue Modelle der künstlerischen Produktion und Präsentation. Und die Änderung passiert in einem rasenden Tempo, und das bedeutet für die Politik auch, alle mitzunehmen bzw. darauf zu achten, dass niemand durch das Raster der Unterstützung fällt. Wichtig ist, den Künstler*innen aktuell Unterstützungsleistungen zu gewähren und ihnen dann auch Perspektiven aufzuzeigen.

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