15. 1. 2021
creative.talk

Miriam Pflüger
Montag Stiftung Urbane Räume

Miriam Pflüger ist bei der Montag Stiftung Urbane Räume für das Kommunikationsmanagement zuständig. Als Zukunftswerkstatt für gemeinschaftliche Stadtentwicklung setzt die Stiftung sich für die gemeinwohlorientierte Entwicklung städtischer Räume und Nachbarschaften ein. Gemeinsam mit der Montag Stiftung Urbane Räume und dem Verein KLuG – Köln leben und gestalten e.V. hat CREATIVE.NRW das Projekt Die Gamechanger – Kreative Orte, kreative Lösungen initiiert. In der Filmreihe werden Akteur:innen aus Nordrhein-Westfalen vorgestellt, die in Zeiten von Lockdown und Kontaktbeschränkungen in der Corona-Krise neue Zugänge zu kreativen Inhalten ermöglichen und alternative Formen der Zusammenkunft finden.

Seit März 2020 sind wir durch die Ausbreitung des Corona-Virus in einer außergewöhnlichen und herausfordernden Situation. Neben anderen Branchen ist vor allem die Kultur- und Kreativwirtschaft von Schließungen und Veranstaltungsabsagen und daraus resultierenden Arbeitsverboten betroffen. Gleichzeit erleben wir, dass insbesondere die Kreativen in diesen Zeiten nicht stillstehen, sondern gerade jetzt Neues schaffen und innovative Lösungen entwickeln. Wie erklären Sie sich diese Motivation?

Das liegt in der Natur der Sache – Kreative sind es gewohnt und fähig, Lösungen zu erarbeiten und Wege zu finden, gerade wenn diese zunächst nicht in Sicht sind. Durch ihr Know-how, ihre Erfahrung und ihre langfristig aufgebauten Netzwerke sind sie in der Lage, ihre Ideen auch unter schwierigen Bedingungen umzusetzen. Sie ziehen ihre Motivation vor allem aus der Entwicklung von Ideen für unerwartete Herausforderungen und dem Austausch mit anderen. Weil im Moment genau solche Herausforderungen entstehen, ist die Corona-Krise auch die Stunde der Kreativität. In vielen Bereichen sind jetzt innovative Lösungen gefragt: in Krankenhäusern, in Kindergärten, Schulen, in der Gastronomie, in Unternehmen und direkt um die Ecke in der Nachbarschaft.

Mit unserer Filmreihe wollen wir genau solche kreativen Gamechangerpräsentieren, um Best Practices sichtbar zu machen und damit auch andere kreative Akteur:innen zu inspirieren und zu ermutigen, in dieser schwierigen Zeit weiterzumachen und sich auszutauschen. Wie wichtig sind solche „Mutmacher“ in dieser Zeit?

Sie sind extrem wichtig. Sie zeigen, dass es auch jetzt möglich ist, Ideen umzusetzen und sich untereinander zu vernetzen. Das ist jetzt noch wichtiger als in „normalen“ Zeiten. Voraussetzung ist aber, dass sie dabei auch gesehen werden und ihre Arbeit honoriert wird. Dabei kann öffentliche Förderung, die Unterstützung durch Stiftungen und auch eine Plattform wie CREATIVE.NRW helfen.

Den Anfang der Filmreihe macht das WandelWerk in Köln. Mitten in der Corona-Krise hat der KLuG e.V. in einem ehemaligen Autohaus ein Pop-up-Transformationszentrum für den sozial-ökologischen Wandel aufgebaut. Auf 4.802 Quadratmetern mit u.a. Café, Coworking, Kulturveranstaltungen und Kreativwerkstatt bietet es Raum für Vernetzung und individuelle Befähigung. Was hat Sie am WandelWerk besonders beeindruckt?

Dass sie es einfach machen! Da steckt sehr viel Engagement, Kompetenz, Pragmatismus, Offenheit und gute Öffentlichkeits- und Netzwerkarbeit drin. In so einem kurzen Zeitraum so viel auf die Beine zu stellen, ist nur mit solch klugen und motivierten Menschen möglich. Das WandelWerk ist für mich jetzt schon eine wichtige Institution in Köln. Ähnlich wie der Tag des guten Lebens, das Colabor, Radkomm, Ökorausch, Jack in the Box, der Kulturhof Kalk und viele mehr bietet das WandelWerk ein Labor, in dem Dinge ausprobiert werden können. Es bringt, wie die anderen Initiativen auch, die Transformation der Stadt voran und macht sie sichtbar.

Wie am WandelWerk zu sehen ist, ist das kreative Schaffen oft an Orte gebunden, an denen Menschen zusammenkommen. Die Montag Stiftung Urbane Räume investiert mit ihren Projekten genau in solche Orte, bzw. in eine Immobilie, um von dort aus Stadtteile gemeinschaftlich und chancengerecht zu entwickeln. Wie nehmen Sie die Dynamik und Stimmung in Ihren Projekten derzeit wahr?

In unseren Projekten wird kooperative Entwicklung, Begegnung, Interaktion und Diversität gelebt. Dafür braucht es physischen Kontakt. Öffentlich zugängliche Räume waren schon immer ein wichtiger Teil unserer Projekte, zum Beispiel die Shedhalle und das Nachbarschaftszimmer in der Samtweberei in Krefeld, der Park und die zukünftige Quartiershalle in der KoFabrik in Bochum, die zukünftige Nachbarschaftsetage und der Nachbarschaftspark im BOB CAMPUS in Wuppertal oder der Bürgerpark FreiFeld in Halle an der Saale. Gemeinsam genutzte Orte, an denen Abstand gehalten werden kann, und vor allem Freiflächen haben damit in allen Projekten an Bedeutung gewonnen. Auf dem BOB CAMPUS in Wuppertal wurde beispielsweise der Parkplatz der ehemaligen Textilfabrik kurzerhand zum Freiraum für alle umgestaltet. Er bietet seitdem, bis zum Baubeginn des Nachbarschaftsparks, temporären Raum für selbstorganisierte Bau- und Bastelkurse, Sprachunterricht, Graffiti- und Spielaktionen. Unter anderem gab es eine fünftägige Hip-Hop-Session auf der Brache, die bald der neue Nachbarschaftspark wird. Bei der Agora Cypher des Jugendmigrationsdienstes Wuppertal rappten die Künstler gemeinsam zu Themen, die uns als Gemeinschaft angehen, statt sich gegenseitig zu dissen. Wir merken außerdem, wie wichtig es ist, auf ein Netzwerk von Kreativen zurückgreifen zu können. Es bewegt sich viel: Wir sind neue Kooperationen eingegangen, ganz neue Formate sind entstanden.

Mit der KoFabrik in Bochum wird auch eines Ihrer Projekte in der Filmreihe vorgestellt werden. Können Sie diesen Ort kurz beschreiben, und was ist dort in der Corona-Zeit passiert?

Die KoFabrik ist ein Ort für kooperatives Arbeiten, urbane Produktion und nachbarschaftliche Begegnung. Auf rund 2.000 Quadratmetern gibt es Räume für Büros, Ateliers, kleine Werk- und Produktionsstätten, ein Nachbarschaftscafé und die kleine Quartiershalle als Ort für nachbarschaftliche Unternehmungen und Projekte, Kultur und Begegnung. In der Corona-Zeit galt es, Quartiersarbeit neu zu denken und trotz des größeren Abstands neue Formate für mehr Miteinander im Viertel zu schaffen. Von Juni bis September 2020 wurde eine kleine Terrasse vor der KoFabrik zur Bühne für das Festival „Sommer auf dem Imbuschplatz“. Ein kostenloses Kulturprogramm mit Theater, Musik und Wissenschaft wurde unter Einhaltung der Abstände und mit Sicherheitsvorkehrungen umgesetzt. In Kooperation mit dem ko-labor und kortland e. V. konnten so über 150 große und kleine Künstler:innen vor insgesamt 1700 Gästen aus der Nachbarschaft auftreten.

Im Dezember gab es einen digitalen, lebendigen Adventskalender im Quartier. Menschen aus der Nachbarschaft öffneten in kleinen Videos die Türen zu ihren Wohnungen oder Läden, die sonst geschlossen bleiben mussten. Sie erzählten Geschichten, teilten Plätzchenrezepte oder Bastelanleitungen. Außerdem entstand eine Galerie mit Kunstwerken aus dem ganzen Viertel mitten auf dem Imbuschplatz: Als gemeinsames, wenn auch kontaktloses Projekt gestalteten Nachbar:innen kleine Anhänger für den Weihnachtsbaum vor der KoFabrik und „ermalten“ so finanzielle Unterstützung für zwei Projekte im Quartier.

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