20. 4. 2021
creative.talk

Matthias Hornschuh
mediamusic e.V.

Matthias Hornschuh ist Komponist für Film, TV, Radio, Medien- und Theaterproduktionen. Er schreibt und produziert Songs und befasst sich als Autor, Regisseur und freier Produzent mit Akustischer Kunst, Fußballbewegungsforschung und Kulturvermittlung. Er ist Vorsitzender des Berufsverbands mediamusic e.V. Darüber hinaus setzt er sich in vielen weiteren Gremien für die Interessen der Kreativschaffenden ein, unter anderem als Vorstandsmitglied im Kulturrat NRW, im Aufsichtsrat der GEMA, als Präsidiumsmitglied im Landesmusikrat NRW, Stv. Mitglied der Landesmedienkommission NRW und in der Initiative Urheberrecht.

Herr Hornschuh, trotz der Berücksichtigung der Stellungnahmen aus allen betreffenden Branchen sorgte der Gesetzentwurf vor allem auf Seiten der kreativen Urheber:innen immer noch für Empörung und Sorge. Ein großer Knackpunkt ist die sogenannte Bagatellregel, nach der urheberrechtlich geschützte Werke bis zu einer bestimmten Länge ohne entsprechende Nutzungsrechte auf digitalen Plattformen hochgeladen werden können. Können Sie das Problem kurz an einem Beispiel erläutern?

Ja, es stimmt, dass die gesamte Inhaltewirtschaft in leider seltener Geschlossenheit massive Bedenken gegen die sogenannten geringfügigen Nutzungen (§10 UrhDaG-E; die ehemalige „Bagatellscharanke“) äußert. Tatsächlich ist es auch aus meiner Sicht so, dass zum einen die im Raum stehenden Zahlen bestürzend sind, zum andern und vor allem aber das Bauprinzip der Regelung an sich geradezu absurd ist. Die als Vermutungsregel verpackte Schrankenregelung für „geringfügige Nutzungen“(§ 10 UrhDaG-E) wird auch durch Schärfung nicht zu verbessern sein. Absolute Zahlen haben in einem Gesetzentwurf zur Regulierung eines hochdynamischen technikgetriebenen Markts nichts zu suchen: Viel zu schnell verändern sich die technischen Gegebenheiten, wie man anhand der Einführung des mp3-Codecs (von einem auf den anderen Moment passte Musik durchs ISDN-Netz), des iPods/iPhones (digitale Musik wurde in erheblichen Mengen mitnehmbar) oder auch von YouTube (Video-/Musik-Publishing für jedermann) sehen kann.

Bei den vermeintlich „geringfügigen“ Nutzungen kollidieren unscharfe Grenzen mit Wertungsmöglichkeiten (z.B. „unerhebliche Einnahmen“ und „nicht-kommerzielle Nutzung“) mit sekunden- oder zeichengenau festgelegten, heute praxisfernen und morgen bereits lachhaften Parametern. So entsteht das Gegenteil der beabsichtigten Rechtssicherheit, während ein klarer und unverhältnismäßiger Eingriff in den Markt stattfindet. Zwei Beispiele: Ich habe im Jahr 2003 gemeinsam mit meinem Bruder Andreas das gesamte Audio-Design für WDR5 komponiert, eingespielt und produziert. Da gab es so gut wie keine Elemente, die länger als 15 Sekunden gewesen wären: Ganze Werke, die künftig zumindest teilweise zur Disposition stünden. Ich bin Gitarrist: So gut wie jedes Gitarrensolo der Musikgeschichte könnte durch „geringfügige Nutzungen“ ein Gutteil seiner Verwertungsmöglichkeiten verlieren.

Besondere Sorgen muss man sich aber um den Bildbereich machen; speziell die Presse- und Konzertfotograf:innen werden unter der Regelung leiden, und das gleich doppelt: Geplant ist die Freigabe von Bilduploads bis 125 kB; mit dieser Auflösung hochgeladene Vektorgrafiken öffnen sich im Browser als 1,5 MB große Bilddateien. Wie schon bei mp3 (Ton) und später mp4 (Bild) sorgen effiziente und sich stetig fortentwickelnde Codecs für Dateigrößen, die keinerlei Schluss auf Größe und Qualität des skalierten Anzeigeergebnisses zulassen. Da die einmal hochgeladenen Dateien im Zuge des vorgesehenen einwöchigen Beschwerdeverfahrens abrufbar bleiben müssen, liegt auf der Hand, dass speziell zeitkritische und tagesaktuelle Fotografie (Presse, Konzert) jeden aktuellen Marktwert einbüßen wird. Damit sind die Regelungen weit jenseits einer Geringfügigkeit. Sie müssen ersatzlos gestrichen werden, zumal sie durch die bedenklich weit gefasste Pastiche-Schranke (§ 9 UrhDaG-E) praktisch unnötig sind.

Auf der anderen Seite dieser Bagatellgrenze steht der zum Buzzword gewordene und von den digitalen Plattformen gefürchtete „Uploadfilter“. Kritikpunkte waren die Gefahr des Overblockings und zu hohe Technikinvestitionskosten. Eine mögliche Lösung und Errungenschaft des aktuellen Gesetzentwurfs ist die Einführung von „kollektiven Lizenzen mit erweiterter Wirkung“. Was steckt genau dahinter?

Das zentrale Instrument gegen Sanktionsansprüche heißt Lizenzierung – so umfassend wie möglich. Als „kollektive Lizenzen mit erweiterter Wirkung“ wird eine im skandinavischen Raum unter dem Namen „extended collective licensing“ (ECL) erprobte Regelung bezeichnet. Der Gesetzgeber gewährleistet dadurch, dass die Gesamtheit aller verfügbaren Werke und Aufnahmen für die pauschale und umfassende Lizenzierung der großen Plattformen zur Verfügung steht, wodurch die Wahrscheinlichkeit von Take-Down-Requests signifikant abnimmt. ECL funktioniert so, dass der Gesetzgeber den zuständigen Verwertungsgesellschaften (VG) das Recht einräumt, auch solches Repertoire an die Plattformen zu lizenzieren, für das die individuellen Urheber:innen keinen Wahrnehmungsvertrag mit einer zuständigen Verwertungsgesellschaft abgeschlossen haben. Den betroffenen Künstler:innen entstehen Vergütungsansprüche gegen die VG; zudem haben sie das Recht, per Opt-out ihre Werke von der Plattform nehmen zu lassen und damit den Vergütungsanspruch aufzugeben.

Das klingt erstmal nach einer guten Lösung. Oder gibt es noch einen Haken?

Das ist in der Tat eine gute, pragmatische Lösung, deren praktische Umsetzung uns allen sicherlich ein bisschen Grips, Geduld und Zeit abverlangen wird. Das sollte man ohnehin nicht verkennen: Wir haben es hier mit dem größten und umwälzendsten urheberrechtlichen Paradigmenwechsel in vielen Dekaden zu tun. Das wird dauern. Alles. Wie bei allen Pauschallizenzierungen über VGen stellt sich allerdings auch hier die drängende Frage, wie zu gewährleisten ist, dass mit pauschalen Zahlungen der Plattformen an die Verwertungsgesellschaften auch brauchbare Nutzungsdaten bei diesen eintreffen. Ohne Nutzungsdaten in hinlänglicher Qualität ist jedoch keine „angemessene Vergütung“ im Sinne des deutschen Urheberrechts vorstellbar, ganz einfach, weil die VGen ohne diese Daten nicht wissen, welchen Berechtigten welcher Teil des Kuchens zusteht. Als Treuhänder des Geldes ihrer Berechtigten sind die VGen jedoch verpflichtet, so nutzungsbasiert wie möglich auszuschütten. Daher ist eine der zentralen und lautesten Forderungen der Verbände der Urheber:innen und ausübenden Künstler:innen die nach einer Auskunftspflicht auch in der Lizenzkette. Diese sollte bei großen Lizenznehmern ausgestaltet sein als „proaktive Berichtspflicht“.

Nicht nur zwischen Digital- und Kreativbranche gibt es gegensätzliche Meinungen zur EU-Urheberrechtsrichtlinie und dem Gesetzentwurf, auch die einzelnen Teilbranchen der Kultur- und Kreativwirtschaft haben aufgrund ihrer unterschiedlichen und teils komplexen Verwertungsstrukturen teils unterschiedliche Ansichten. Lässt sich da überhaupt ein zufriedenstellender Konsens für alle erreichen?

Es sieht aktuell nicht so aus. Über Grundsätzliches sind wir uns alle einig, etwa darüber, dass die User-Uploaded-Content-Plattformen endlich in eine einklagbare Lizenzschuldnerschaft gebracht werden müssen (Art. 17 DSM-RL), was ja nicht zuletzt für die Wiederherstellung des dysfunktionalen Markts für kulturelle Güter und Dienste sorgen soll. Aber speziell die bereits erwähnte Forderung nach einer proaktiven Berichtspflicht, die sich hier in NRW etwa gegen den WDR oder auch die Sender der Mediengruppe RTL richten würde, führt zu energischen Auseinandersetzungen vor und hinter den Kulissen. Ich bin allerdings zuversichtlich, dass gerade dieses Thema eher nicht für langfristige Probleme sorgen wird, auch nicht im Miteinander.

Der Gesetzentwurf liegt nun beim Bundestag. Bis zum 7. Juni 2021 muss die Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt werden. Was wurde in den Diskussionen des letzten Monats im Hintergrund bereits erreicht? Gibt es noch Möglichkeiten der Einflussnahme?

Der Gesetzgeber ist der Deutsche Bundestag. Formal wie auch praktisch sind noch Einflussmöglichkeiten und auch -notwendigkeiten auf die Umsetzung des Regierungsentwurfs gegeben. Die Telefondrähte der zuständigen Abgeordnetenbüros glühen. Allerdings schließt sich aufgrund der Umsetzungsfrist das Zeitfenster bald. Zu dem Zeitpunkt, an dem ich das hier schreibe, hat die erste Lesung im Parlament stattgefunden, sowie die Anhörung Ausschuss für Kultur und Medien, an der ich als Sachverständiger teilgenommen habe. Die Anhörung im Rechtsausschuss steht an – und nur durch massiven Druck haben wir erreicht, dass überhaupt ein Vertreter der Urheber:innen geladen wurde. Zusätzlich! So weit mir bekannt ist, ist kein Sachverständiger der Verwerter im Buch-, Rundfunk-, Film- oder Musikmarkt geladen, was, sollte es stimmen, nicht akzeptabel ist. Nach der Bundesregierung hat auch der Bundesrat seine Befassung bereits abgeschlossen.

Am 22. April 2020 präsentiert CREATIVE.NRW im Rahmen der c/o pop Convention einen digitalen Schlagabtausch zwischen Ihnen und dem Mediensoziologen Volker Grassmuck zum Thema „Auf dem Weg in eine digitale Urhebergesellschaft?“. Was erwartet die Zuschauer, und was erhoffen Sie sich von dem Gespräch?

Ich erwarte keinen Schlagabtausch im Sinne einer harten Kontroverse mit unverrückbaren Positionen. Volker Grassmuck und ich sind uns bei einem dreistündigen Talk begegnet, den der Kieler Anwalt Andri Jürgensen auf seinem Channel kunstrecht.tv zur Umsetzung der DSM-RL durchgeführt hat. Da hat es überhaupt nicht geknallt, nicht mal geknarzt, sondern wir waren uns in ganz wesentlichen Punkten einig und sind vermutlich beide etwas klüger aus dem Gespräch herausgegangen als hinein. Allerdings ist es wohl so, dass gerade unter einer solchen Bedingung die Punkte, in denen keine Einigkeit herrscht, besonders prägnant hervortreten. Insofern erhoffe ich mir tatsächlich Schärfendes zum Themenkomplex Erkennung & Sanktionierung aka Uploadfilter, zu Fragen der individuellen wie kollektiven Rechtewahrnehmung und auch zu Bagatell- und Pastiche-Schranken.

Meine persönliche Überzeugung ist schon länger, dass es eigentlich weitreichende Übereinstimmungen in den Bestandsaufnahmen der Netz- und der Kulturszenen gibt und dass wir uns, zumal in der aktuellen Situation nach einem Jahr Corona-Ausnahmezustand, da sogar noch mal weiter aufeinander zu bewegen. Dass es neuer, eher ganzheitlicher Instrumente bedarf, um einer zusehends konvergenten und zur Monopolisierung neigenden Medienentwicklung zu begegnen. In der Hinsicht betreten wir mit der Umsetzung der DSM-RL paradigmatisches Neuland, während zeitgleich in Berlin Projekte zum Jugendmedienschutz und gegen Hass und Hetze vorangetrieben werden und in Brüssel mit DSA und DMA die Weichen für eine europäische Digitalzukunft gestellt werden. Es gibt also genug zu besprechen.

Mehr zu Matthias Hornschuh