23. 5. 2024
creative.talk

Prof. Dr. Verena Hermelingmeier
bonnvivir / Alanus Hochschule

Verena Hermelingmeier

Verena Hermelingmeier ist Transformationsforscherin mit Praxisbezug und -erfahrung. Als Mitinitiatorin des Kölner WandelWerk gestaltete sie von 2020 bis 2021 einen Transformationsprozess am lebenden Objekt. Als Geschäftsführerin der bonnvivir GmbH entwickelt sie gemeinsam mit ihrem Team Projekte für nachhaltiges Wirtschaften und Arbeiten in Bonn und Umgebung. Als erster Leuchtturm entsteht gerade das Maarwerk, ein Campus rund um nachhaltiges Wirtschaften auf einem ehemaligen Bauhof im Gewerbegebiet Beuel-Ost. Zudem ist Verena Hermelingmeier Juniorprofessorin für Nachhaltigkeit und Transformation in Unternehmen und Gesellschaft an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft (Alfter). Am 20. Juni 2024 wird sie bei unserem creative.summit als Sprecherin im Rahmen der Paneldiskussion „Digitalisierung, KI & Co.: Wie wirtschaften wir in Zukunft?“ dabei sein.

Als Wissenschaftlerin beschäftigst du dich mit dem, was du als Praktikerin mit umsetzt: urbane Transformationsprojekte. Was treibt dich mehr an – das Forschen oder das Machen?

Ich finde die Kombination aus beidem sehr reizvoll, weil mich das Machen zum Forschen inspiriert und umgekehrt. Die konzeptionellen Ansätze aus der Forschungswelt helfen mir häufig, Zusammenhänge im Machen besser zu begreifen und Dynamiken zu verstehen. In der transformativen Forschung, aus der ich komme, gilt übrigens: Die forschende Person ist auch immer Teil von Gesellschaftsgestaltung – und zwar auch im konkreten Doing.

In deinen Projekten hast du es mit Akteur:innen aus sehr unterschiedlichen Branchen zu tun, von Projektentwickler:innen der Immobilienwirtschaft über Mitarbeitende der öffentlichen Verwaltung bis hin zu den Nutzer:innen von Transformationsobjekten. Wie bringst du die unterschiedlichen Mindsets und Herangehensweisen zusammen?

Genau dieses Wandeln zwischen den Welten und Perspektiven hat mich von Beginn an sehr interessiert. Ich habe interdisziplinär studiert, war immer parallel in Forschung und Praxis aktiv und habe eine Design-Thinking-Ausbildung, mit der ich viele Jahre beratend in sehr unterschiedlichen organisationalen Kontexten unterwegs war. Unterschiedliche institutionelle Sprachen zu sprechen ist für mich eine essenzielle Führungsqualität in der komplexen Welt des 21. Jahrhunderts.

Die Kultur- und Kreativwirtschaft gilt als treibende Kraft bei der Neugestaltung von urbanen Räumen und Immobilien. Wie nimmst du die Akteur:innen der Kultur- und Kreativwirtschaft wahr, welche Rolle spielen sie in deinen Forschungsprojekten und Reallaboren?

Die Akteur:innen der Kreativwirtschaft sind für mich treibende Kräfte in der Neugestaltung urbaner Räume, und sie sind insbesondere treibende Kräfte in der Neuausrichtung urbanen Wirtschaftens. Der Aufbau lokaler Versorgungsstrukturen und kleinteiligerer Produktion wird vor dem Hintergrund von Klimakrise und geopolitischen Konflikten immer wichtiger. Hier spielen Kreativwirtschaftende eine zentrale Rolle. Auch die Kulturwirtschaft ist für die Resilienz urbaner Räume und den gesellschaftlichen Zusammenhalt von großer Bedeutung.

Bei unserem creative.summit am 20. Juni 2024 wollen wir uns gemeinsam mit der Frage beschäftigen, welche Auswirkungen die digitale Transformation auf unser Arbeiten und Wirtschaften haben wird. Worin siehst du die größten Herausforderungen angesichts der fortschreitenden Digitalisierung?

Urbane Räume und insbesondere Kreativorte leben häufig von menschlicher Begegnung. Eine Verlagerung in den digitalen Raum ist nur begrenzt möglich und sinnvoll. Aktuell fließen Unmengen an Finanzierungsmitteln in den Aufbau digitaler Strukturen, was auch wichtig ist. Trotzdem werden wir in Zukunft auch weiterhin reale Begegnungsstätten, Handwerk und manuelle Produktion brauchen. Ich sehe die Herausforderung insbesondere darin, digitale Technologien nicht zum Selbstzweck werden zu lassen und als Gesellschaft immer wieder auszuhandeln, was es für ein gutes Leben braucht.

Das Thema des creative.summit lautet TURNAROUND, was die Abwendung einer Krise oder einen Strategiewechsel meint. An welcher Stelle in unserer Gesellschaft ist deiner Meinung nach am dringendsten ein Turnaround notwendig?

Wir leben in einer Zeit der Multikrise – ökologische Krise, soziale Spaltung, Wirtschaftskrise, geopolitische Machtkämpfe. Interessanterweise bezeichnet Krise in seiner Wortherkunft sogar einen „Wendepunkt“. Die Krise und damit der Wendepunkt, der über all den anderen steht, ist für mich die Krise der Demokratie. Ein zentraler Turnaround liegt für mich somit in der gesellschaftlichen Abkehr von rechten Kräften und dem klaren Commitment zur demokratischen Ordnung, in der um Lösungen wieder gerungen werden darf. Der zweite große Hebel liegt ganz klar in einer Neuausrichtung unseres Wirtschaftssystems und einer Abkehr von Wachstum als Selbstzweck. Dazu gehören die Stärkung lokaler Strukturen und eine Neudefinition von Wohlstand jenseits von einer rein materiellen Betrachtung.

Wenn du dir einen optimalen Ort mit einer entsprechenden Community bauen könntest, wie sähe der aus?

Das WandelWerk kam für mich schon sehr nah an einen solchen Ort heran. Dabei handelte es sich um eine Zwischennutzung eines ehemaligen 5.000 qm großen Autohauses, das wir mit einer bunten Community aus Kultur- und Kreativwirtschaftenden, Vereinen, Organisationen und Individuen bespielt haben. Das laufende Projekt war eine große Inspiration für alle Beteiligten und hat für mich in seinen Ansätzen einen sehr wirkungsvollen Ort, wie ich ihn mir auch für die Zukunft wünschen würde, repräsentiert. Allerdings war das WandelWerk auf Zeit angelegt und von vornerein als Prototyp konzipiert. Ein zukünftiger Ort bräuchte eine langfristige Perspektive, um eine entsprechende Wirkung in die Stadtgesellschaft hinein entfalten zu können.

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