20. 12. 2023
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Philipp Käßbohrer & Matthias Murmann
btf | bildundtonfabrik

Philipp Käßbohrer und Matthias Murmann von der bildundtonfabrik

Philipp Käßbohrer und Matthias Murmann sind die Gründer und Geschäftsführer der Kölner bildundtonfabrik (btf). Mit der Talkshow „Roche & Böhmermann“ haben sie 2012 als erstes TV-Projekt gestartet und sich über die Jahre zu einem etablierten und internationalen Produktionsunternehmen für Fiction, Show, Doku, Games, Werbung, VFX, Motion Design und mehr entwickelt. Zu ihrem Portfolio gehören u.a. „Die Carolin Kebekus Show“, „King of Stonks“ und die Netflix-Produktion „How to Sell Drugs Online (Fast)“, die zu einer der meistgestreamten Serien Deutschlands wurde. btf wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit zwölf Grimme-Preisen und zehn Deutschen Fernsehpreisen, zuletzt im Dezember 2023 mit dem Just Another Award! (JAA!) für ihre Netflix-Doku „BIG MÄCK: Gangster und Gold“.

Foto: Nils Reuter

Auf Ihrer Homepage bezeichnen Sie sich selbst als „risk takers“ und „innovators“. Ist das Eine unweigerlich mit dem Anderen verbunden? Gibt es ein Beispiel, wo Innovation nur mit Risiko ging?

Matthias Murmann: Es war 2018 beispielsweise ein Risiko, als TV-Produzentin in den Games-Markt einzusteigen. Es gab jedoch ein hochmotiviertes Team und eine gute Idee. Wenn das gegeben ist, finden wir eigentlich immer einen Weg, auch etwas herzustellen. „Trüberbrook“ war dann direkt ein Erfolg, was uns natürlich sehr freut. Es ist also richtig: Das Eine geht nicht ohne das Andere. Leider nimmt die Risikobereitschaft bei den Auftraggeber:innen im Markt im Moment rasant ab.

Sie sind das Beispiel par Excellence, das es vom kleinen Kreativstudio zu einem etablierten, mehrfach preisgekrönten und immer noch unabhängigen Medienunternehmen geschafft hat. Was waren die drei wichtigsten Eigenschaften, Umstände oder Entscheidungen, die Sie auf diesen Weg gebracht haben?

Philipp Käßbohrer: Da halte ich mich einfach mal ganz strikt an die Aufgabenstellung in Ihrer Frage: Eigenschaften: Resilienz. Umstände: Krisen. Entscheidungen: nicht verkaufen.

Welche Rolle haben Köln und der Standort NRW dabei gespielt? Und hat sich die Situation heute geändert?

Philipp Käßbohrer: Köln ist ein toller Standort. Wir sind sehr schnell mit dem Zug in Paris, Amsterdam und London, was für den Ausbau unseres internationalen Netzwerks ein großer Vorteil ist. Außerdem ist Köln sehr familienfreundlich. Das wissen wir und viele Mitarbeiter:innen zu schätzen. Dennoch sind wir dringend auf medienpolitische Unterstützung angewiesen. Die meisten deutschen Produzent:innen haben irgendwo in NRW einen Briefkasten stehen, um mit NRW-Fördermitteln zu (co-)produzieren. Das bindet die raren Fachkräfte jedoch leider nicht langfristig an den Standort. Wir wünschen uns echte Vorteile für unabhängige Unternehmen mit Firmensitz in NRW. Die interessantesten Serien stammen schließlich von Kölner Produzent:innen wie Michael Souvignier („Kleo“), Sabine de Mardt („Deutsches Haus“) oder Tom Spieß („Liebes Kind“). Außerdem braucht es standortpolitische, auf die Branche zugeschnittene Faktoren außerhalb der Medienpolitik. Kreative Menschen brauchen Kunst, Kultur und Subkultur. Dafür müssen Flächen verfügbar gemacht werden, sonst laufen uns die tollen Menschen weg.

Mit der Netflix-Produktion „How to Sell Drugs Online (Fast)“ haben sich nicht nur zahlreiche Wohnzimmertüren für Sie geöffnet, sondern auch die Tür zum Streamingmarkt. Wie hat sich Ihre Arbeit sowohl inhaltlich als auch unternehmerisch durch die Möglichkeiten der Streaming-Anbieter als Auftraggeber verändert?

Matthias Murmann: Bevor die Streamer nach Deutschland kamen, war für ungewöhnlichere und weniger auf Mainstream ausgelegte Inhalte wie unsere höchstens Platz an den Programmrändern oder in Spartenkanälen. Das bedeutete natürlich auch sehr geringe Budgets. Netflix und Co. haben solche Erzählungen plötzlich ernstgenommen und mit vernünftigen Mitteln ausgestattet. Eine High-End-Serie oder -Doku über einen Kinderzimmer-Darknet-Dealer wäre bis dahin schlicht undenkbar gewesen. Man kann schon sagen, dass dieser Umstand „deutschen Content“ aus dem Dornröschenschlaf geweckt hat. Inzwischen haben alle erkannt, dass unsere Inhalte durchaus das Potenzial haben, auch außerhalb von Deutschland ihr Publikum zu finden.

Sie haben gerade eine Förderung der Film- und Medienstiftung NRW für die High-End-Doku-Serie „FC Hollywood“ bekommen. Wie wichtig ist für Sie die Unterstützung durch die Filmförderung?

Matthias Murmann: „FC Hollywood“ wird ein unheimlich unterhaltsames sowie emotionales Stück Zeitgeschichte aus Deutschland, an dem wir zusammen mit dem ZDF arbeiten. Wir glauben aber auch an das internationale Potenzial der Serie. Mit Hilfe der Förderung können wir die Serie aufwändiger produzieren, aber eben auch Auswertungsrechte behalten. Am Ende bekommt das deutschsprachige Publikum auf einer öffentlich-rechtlichen Plattform eine Serie auf US-Streamer-Niveau, und wir können den Stoff auf der ganzen Welt vertreiben. Für uns ist das ein Zukunftsmodell, bei dem alle Seiten gewinnen. Auch in der Fiktion wollen wir mit solchen Modellen auf die sinkende Risikobereitschaft im Markt reagieren, ohne dass unsere Produkte an Innovationskraft und Qualität verlieren.

Alle reden von KI – Sie auch? Wenn ja: Welche Chancen oder Herausforderungen ergibt generative künstliche Intelligenz für Ihre Arbeit?

Philipp Käßbohrer: Wir sehen die Chancen eigentlich in allen Bereichen und setzen KI auch so gut es geht bereits ein. Gerade in der Postproduktion, aber auch im Kreativprozess oder in der Drehplanung erleichtert KI die Arbeit unserer Teams enorm. Den einzelnen Kolleg:innen bleibt so mehr Zeit für den Feinschliff, der ja oft mehr Spaß und eben auch den Qualitätsunterschied macht. Ich sehe aktuell auch nicht die Gefahr, dass Jobs wegfallen. Schließlich arbeiten in der Branche nach wie vor etliche in Überlastung, da die Projekte sonst nicht in den vorgegebenen Budgetrahmen möglich wären. Ich glaube, auch da können zuverlässige Assistenzsysteme helfen, das zu ändern. Einen extrem großen Vorteil sehe ich in der Verbesserung des Dubbings. Eine bezahlbare Methode, um Inhalte mit den Stimmen der Schauspieler:innen und angepassten Lippenbewegungen für sämtliche Märkte verfügbar zu machen, ist eine unschätzbare Chance für den deutschen Produktionsstandort.

Was würden Sie sich für sich und andere unabhängige Produktionsfirmen für den Standort NRW wünschen?

Philipp Käßbohrer: Das ist einfach: Mehr Investitionsverpflichtungen, sowohl von Streamern als auch von öffentlich-rechtlichen Sendern. Damit können wir hochqualifizierte Fachkräfte binden und eine High-End-Infrastruktur aufbauen. Ich finde es nicht in Ordnung, dass so viel Produktionsvolumen an Sendertöchter fließt, die den Qualitätsanforderungen teilweise nicht gewachsen sind. Und am Ende wird dann aus einem tollen Stoff wie „Der Schwarm“ eine Mischung aus „Die Bergretter“ und „Sharknado“.

Zuletzt: Ihr heißer Streaming-Tipp für die kalte Jahreszeit?!

Matthias Murmann: „The Curse“, weil Emma Stone, Nathan Fielder und Benny Safdie. Und „The Boys Gen V“ zum Stichwort Risikobereitschaft: Da ist in Deutschland auf jeden Fall noch Luft nach oben.

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