23. 8. 2023
creative.talk

Patrik Hübner
Creative Technologist und Designer

Als programmierender Gestalter und Kreativdirektor arbeitet Patrik Hübner seit über 15 Jahren an der Schnittstelle von Markenkommunikation und Technologie. Jahrelang im traditionellen Design tätig, entdeckte er 2014 Creative Coding als Kreativmethode. Heute arbeitet er als generativer Designer mit internationalen Marken, Agenturen und Kultureinrichtungen. Als Dozent an Hochschulen unterrichtet er zum Thema generatives Design, ist regelmäßiger Keynote-Speaker und gibt Workshops. Bei unserer Veranstaltung „Kreativ, konstruktiv, katastrophal? Eine produktive Konferenz zum aktuellen KI-Hype“ am 7. September 2023 in Düsseldorf, spricht er über die Rolle von Kultur- und Kreativschaffenden in Zeiten künstlicher Intelligenz.

Du hast das Programmieren bereits als Teenager gelernt, bevor du zum Gestalter wurdest. Als generativer Designer verbindest du nun diese scheinbar gegensätzlichen Professionen miteinander. Die Methode heißt Creative Coding. Wie genau funktioniert sie, und wie sieht der kreative Part aus? 

Genauso ist es. In meiner Arbeit verbinde ich Design mit Programmierung. Dazu nutze ich Creative Coding und generatives Design – doch es gibt Unterschiede zwischen den beiden Disziplinen: Im Creative Coding geht es um freie Exploration. Man könnte sagen, es ist eine Reflexion über die Technik selbst. Ein Spiel mit Code und Design und eine Einladung, die beiden Welten miteinander zu verbinden. Anders als in der klassischen Programmierung sind beim Creative Coding Fehler nicht ärgerlich, sondern gern gesehen, denn häufig erzeugen sie spannende Ergebnisse, leiten eine Idee in neue Richtungen und mich Schritt für Schritt an ein Ziel, das ich niemals festgelegt habe. Dieser Prozess an sich ist sehr kreativ.

Generative Gestaltung ist für mich eher zweckgebunden. Ich setze die Methode gezielt ein, um Lösungen für ein spezifisches Problem – beispielsweise innerhalb eines Designprojekts – zu finden. Ich interessiere mich seit meiner Kindheit für das Verhalten von Menschen und habe immer gerne Rätsel gelöst. Im generativen Design finden diese beiden Interessen zusammen. Musikvisualisierung war für mich daher der perfekte Einstieg in die Welt der programmierten Gestaltung. Es gab mir die Möglichkeit, Grafiken, die im Creative Coding entstanden sind, in Echtzeit mit Menschen interagieren zu lassen. Indem ich sie live zur Musik abspielte, brachte ich meine Visuals in einen bewegten Kontext. Ich ließ sie auf die Musik und die Stimmung der Besucher:innen reagieren und war begeistert, welche Faszination das bei den Menschen auslöste. Es war diese Zeit, in der ich verstand, dass Daten – beispielsweise in Form von Geräuschen – der Antrieb für Gestaltung sein können. Heute erscheint es mir offensichtlich. Damals hat es alles verändert.

Für mich sind sowohl Creative Coding als auch generative Gestaltung ganz klar kreative Tätigkeiten. In beiden Feldern geht es darum, sich über Programmierung einer grafischen Vision zu nähern und sich auf dem Weg immer wieder von den Ergebnissen überraschen zu lassen. Es ist eine Art Ko-Kreation mit der Maschine.

Nach jahrelanger klassischer Agenturtätigkeit hast du dich komplett auf generative Gestaltung spezialisiert und entwickelst auf diese Weise Markenerlebnisse auf internationalem Level. Worin liegt für dich der Mehrwert im generativen Design? Kannst du ein Beispiel geben?

Natürlich. Der Fokus meiner Arbeit mit generativem Design liegt auf dem Thema Branding und damit im Bereich des Kommunikationsdesigns. Im Kern geht es darum, Identitäten zu entwickeln und Inhalte – bestenfalls über Geschichten – mit Menschen zusammenzubringen. Das funktioniert nicht nur mit generativem Design, sondern natürlich auch mit traditioneller Gestaltung. Generatives Design bietet allerdings den Vorteil, Daten – und damit reale Ereignisse – aktiv in den Gestaltungsprozess mit einzubeziehen. Dieser Aspekt zwingt Designer:innen dazu, anders über Themen und Produkte nachzudenken. Als Generativdesigner widme ich meine Aufmerksamkeit nicht direkt der finalen Form – beispielsweise dem Poster oder der Animation – sondern baue ein System, in dem über die Integration von Daten viele mögliche Formen entstehen können. Dazu muss ich mir andere Fragen stellen: Was macht das Produkt aus, mit dem ich arbeite? Wie kommt es zustande? Was liegt in seinem Kern? Es geht darum, zunächst herauszufinden, mit welchen Daten ich Geschichten erzählen kann, und erst dann darum, gemeinsam mit dem Programm visuelle Ergebnisse zu explorieren.

Durch dieses Vorgehen und die Vielfalt an Medien, mit denen generatives Design arbeiten kann, ergeben sich neue Arten zu erzählen. Am Ende erreichen die Kund:innen vielleicht ähnliche Geschichten, doch da die Erzählweise des generativen Designs fundamental von anderen abweicht, können sie das Thema oder Produkt ganz neu erleben. Das bietet Unternehmen die Möglichkeit, sich visuell und inhaltlich vom Markt zu differenzieren. Es ist eine neue Art, Geschichten zu erzählen und damit Aufmerksamkeit auf Produkte, Marken, Events oder Dienstleistungen zu lenken.

Ein weiterer – vielleicht etwas offensichtlicherer – Mehrwert von generativer Gestaltung ist die Automation. Da ich als Generativdesigner nicht die finale Form gestalte, sondern über ein Programm ein System entwickle, das am Ende die Gestaltung für mich übernimmt, kann ich gleich eine ganze Serie an Ergebnissen generieren. Das ist eine Fülle, die man als Einzelakteur unter traditionellen Bedingungen niemals schaffen würde. Darüber hinaus kann ich das System so gestalten, dass es von Laien genutzt werden kann. Indem das Programm die Gestaltung übernimmt und damit mögliche Formfehler vermeidet, muss nicht mehr jedes kleine Markenelement bei Designer:innen angefragt werden.

Welche Rolle spielt künstliche Intelligenz bei generativem Design?

Generatives Design ist eine Disziplin, die ausgehend von Ideen über Regeln Form erzeugt. Es ist ein Prinzip, innerhalb dessen künstliche Intelligenz eines von vielen Werkzeugen sein kann, die zum Einsatz kommen.

Als Generativdesigner war ich bisher darauf beschränkt, mit quantitativen Daten zu arbeiten. Das sind Daten, mit denen die Maschine arbeiten kann, weil sie objektiv messbar und in Zahlen auszudrücken sind – beispielsweise die Länge eines Textes in Wörtern oder Buchstaben. Qualitative Daten – wie die Stimmung eines Textes – mussten bisher vom Menschen interpretiert werden, bevor sie für die programmierte Gestaltung nutzbar waren. Künstliche Intelligenz kann heute Muster erkennen und Daten interpretieren. Dadurch sind nun auch qualitative Daten für mich nutzbar, was mir die Umsetzung ganz neuer Ideen ermöglicht. Außerdem war ich als Generativdesigner bisher darauf limitiert, mit abstrakten, computergenerierten Formen und vordefinierten Bildmaterialen zu arbeiten. Die Möglichkeit der generativen Bildsynthese durch künstliche Intelligenz ermöglicht auch hier, neue, vielschichtiger werdende Ausdrucksweisen im generativen Design zu explorieren.

Am Ende ergibt sich der Nutzen künstlicher Intelligenz im generativen Design aus ihrer Fähigkeit, Muster und Regelhaftigkeiten in großen Datenmengen zu erkennen, die man dann nutzen kann, um Neues entstehen zu lassen. Für mich ist sie keine alleinstehende Lösung oder Anwendung, sondern ein Werkzeug, das in den richtigen Händen und mit dem richtigen Verständnis dabei hilft, Großartiges zu erzeugen.

Als programmierender Gestalter hast du die Zügel der Technologie selbst in der Hand. Viele Kreativschaffende aus anderen Disziplinen fühlen sich von generativer künstlicher Intelligenz bedroht, da ihre Tätigkeiten teilweise von Maschinen übernommen werden können. Wie können sich Kreative deiner Meinung nach im Zeitalter von KI behaupten – welche Rolle spielen sie und werden sie in Zukunft spielen?

Das ist eine schwierige Frage, weil natürlich keiner von uns in die Zukunft schauen kann. Ich spreche hier wahrscheinlich aus einer sehr privilegierten Position, weil ich mich sowohl in der Programmierung als auch im Design heimisch fühle. Das hat mir bereits viele Vorteile verschafft und wird es sicher angesichts der aktuellen technischen Entwicklungen auch weiterhin tun.

Ich halte es für eine realistische Gefahr, dass einige Aufgaben von Gestalter:innen langfristig automatisierbar werden. Für mich ist das erst einmal eine positive Entwicklung, weil es meinen Geist befreit und mir Raum gibt, um weiter zu denken und meine Fähigkeiten auszuweiten. Für Menschen, die diese Tätigkeiten sehr gerne ausführen und kein Interesse oder keine Möglichkeit haben, sich neuen Bereichen zu widmen oder in ihre Entwicklung zu investieren, ist es definitiv ein Risiko. Ich habe für dieses Problem keine Lösung, aber ich halte es für zwingend notwendig, dass Kreativschaffende ein Verständnis dafür entwickeln, wo die Stärken des Menschen und wo die Schwächen der Maschine liegen und die Ergebnisse auf ihren Berufszweig übertragen. Für mich geht es darum, genau in diese „menschlichen“ Fähigkeiten zu investieren, denn am Ende arbeiten wir gemeinsam mit der Maschine, und Teams sind dann am effektivsten, wenn sich ihre Mitglieder ergänzen.

Ich verweise hier gerne auf eine Arbeit von Jochen Viehoff. Er ist der Leiter des Heinz Nixdorf Forums – des größten Computermuseums der Welt, das zufällig in meiner Heimatstadt Paderborn steht. Gemeinsam mit Georg Trogemann hat er ein Buch über „Programmierung als künstlerische Praktik“ geschrieben. Die Autoren bezeichnen hier Kreativschaffende als Schöpfer:innen der Gegenwart und sehen sie nicht nur gezwungen, sondern sogar in der Verantwortung, sich neuen Herausforderungen zu stellen. Ich würde sogar weiter gehen und sagen, sie sind die Schöpfer:innen der Zukunft, denn egal in welchem Bereich Kreativschaffende tätig sind: Es geht üblicherweise um die Gestaltung der Welt, in der wir heute und in der Zukunft leben werden. Sich dieser Verantwortung bewusst zu werden, sich ihr zu stellen und sie mit Freude, Neugier und Motivation anzunehmen, sehe ich als unsere Aufgabe und als Motivation, nicht zuerst in Gefahren, sondern in Möglichkeiten zu denken.

Siehst du selbst auch Gefahren in der rasanten Entwicklung der digitalen Technologien? Und wie kann man diesen begegnen?

Ich bin in erster Linie Optimist – aber wie mit jeder technischen Entwicklung sind auch mit künstlicher Intelligenz Herausforderungen verbunden, die wir als Menschheit gemeinsam angehen müssen. Designer:innen nehmen für mich hier eine zentrale Rolle ein, denn wir gestalten die Zukunft durch die Oberflächen, anhand derer wir die Technologien bedienen, aktiv mit. Indem wir den Technologien eine Form geben, machen wir sie für die Allgemeinheit nutzbar. Damit haben wir eine große Verantwortung.

Gestaltung beeinflusst, wie wir unsere Welt sehen und was uns wichtig ist. Werden gerade an dieser Stelle zunehmend Prozesse automatisiert, öffnet das die Tür, um alle Arten von Botschaften in Umlauf zu bringen. Hier brauchen die Menschen meiner Meinung nach viel mehr Medienkompetenz, um Prinzipien zu erkennen, die für positive und negative Manipulation genutzt werden.

Im Bereich der Programmierung sehe ich aktuell tatsächlich einen Trend, der langfristig gefährlich werden könnte. Es entstehen gerade immer mehr Systeme, die selbstständig Code schreiben. Für Programmierer ist es nicht unüblich, bestehende Lösungen zu kopieren und zu verwenden, doch wenn Computercode nur noch von Maschinen synthetisiert und eingesetzt wird, kann es passieren, dass die Ergebnisse für Menschen immer unverständlicher werden.

Mit deiner Expertise und deinen internationalen Kund:innen könntest du von überall arbeiten und wärst vermutlich in den großen Kreativmetropolen gefragt. Du lebst und arbeitest jedoch im beschaulichen Paderborn. Warum bist du in NRW und speziell in Ostwestfalen-Lippe geblieben. Ist es ein guter Ort für Kreative?

Mittlerweile ist wahrscheinlich jeder Ort ein guter Ort für Kreative, denn wie du schon sagst, sind wir durch das Internet heute beruflich und privat mit Menschen auf der ganzen Welt verbunden. In Paderborn habe ich Familie und Freunde, das ist eine wichtige emotionale Säule für mich, um zu tun, was ich tue. Die Stadt gibt mir die Möglichkeit, mich zu fokussieren. Ich bin nicht verführt, täglich an hunderten Veranstaltungen teilzunehmen – auch das ist für meine kreative Arbeit sehr wichtig, denn ohne, dass ich mich am Ende an den Schreibtisch setze und ins Handeln komme, habe ich nur Ideen, erreiche meine Ziele aber nicht.

Für Paderborn als Kreativort sehe ich großes Potenzial in der Universität und den zahlreichen Hochschulen in der Umgebung. Die Stadt ist Heimat vieler Informatiker:innen und konzentriert damit viel Wissen im Bereich Programmierung an einem Ort. Einer der wichtigsten Leitsätze meiner Arbeit lautet #teamup – eines meiner Ziele ist es, Informatiker:innen und Kreativschaffende näher zusammenzubringen, weil ich mir sicher bin, dass sie gerade gemeinsam viel bewegen können. Was in Paderborn allerdings fehlt, um diese Vision umzusetzen, ist ein Ort, an dem dieser Austausch entstehen kann.

In der Stadt wird gerade die Möglichkeit diskutiert, ein Kreativquartier zu eröffnen. Die Menschen, die diese Herausforderung meistern könnten, haben wir bereits, aber das Commitment von Politik und Wirtschaft scheint noch zu fehlen. Es kommt mir manchmal vor, als wären provinzielle Orte wie Paderborn sich der Relevanz einer blühenden Kreativwirtschaft nicht ausreichend bewusst. Als Kreativschaffender, der durch seine Arbeit einen Mehrwert für die Wirtschaft erzeugt und mit innovativen Ideen und Technologien arbeitet, fühle ich mich kaum von der Stadt gesehen oder unterstützt. Ich würde mich gerne mehr in der Region engagieren, aber es gibt keine Plattformen, um Sichtbarkeit zu bekommen. Wenn irgendwas passiert, dann durch Zusammenschlüsse von Einzelakteur:innen, die das meist ehrenamtlich machen. Es gibt in Paderborn zahlreiche talentierte und engagierte Kreative – unter anderem auch durch die große Uni –, aber viele bleiben nicht langfristig hier, weil es nicht ausreichend Jobs und Möglichkeiten gibt, aktiv zu werden. Ich bin mir sicher, dass ein Kreativquartier das ändern würde. Dafür braucht es allerdings die Unterstützung und das Engagement von Politik und Wirtschaft – ich hoffe wirklich, dass die Stadt diese riesige Chance nicht verpasst.

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