25. 1. 2024
creative.talk

Lillith Kreiß & Santana Gumowski
Baukultur NRW

Lillith Kreiß und Santana Gumowski von Baukultur NRW

Das öffentliche Bewusstsein für unsere gebaute Umwelt zu schärfen und einen dauerhaften Diskurs über Fragen der Architektur, des Wohnens und der Stadtentwicklung anzuregen – diesen Aufgaben widmet sich Baukultur Nordrhein-Westfalen. Mit dem Projekt „UmBauLabor“ erprobt und diskutiert Baukultur NRW in einem Gebäude in Gelsenkirchen-Ückendorf im Maßstab 1:1 nachhaltiges und kreislaufgerechtes Planen und Bauen. Bei der offiziellen Auftaktveranstaltung am 14. März 2024 öffnet das UmBauLabor erstmals seine Türen für die Öffentlichkeit. Lillith Kreiß und Santana Gumowski verantworten das UmBauLabor gemeinsam und geben einen Einblick in das Projekt, das bis Ende 2026 ein abrissreifes Gebäude in ein Reallabor verwandelt.

Foto: Samuel Becker

Wie der Name schon sagt, geht es in Ihrem Projekt um das Umbauen im Gegensatz zu Abriss und Neubau. Wie wichtig ist Ihrer Meinung nach das Bauen im Bestand in Zeiten des Klimawandels? Und warum braucht es einen solchen Experimentierort?

Lillith Kreiß: Das Bauen im Bestand ist ein zukunftsorientiertes Bauen. Denn im Bestehenden sind Werte, Ressourcen, Energien und Erinnerungen gelagert, die bei einem Abriss verlorengehen. Abriss ist somit schlicht verschwenderisch, und wir können es uns mit Blick auf die Emissionen im Bausektor schlicht nicht mehr leisten. Der Sektor macht mittlerweile deutschlandweit 40 Prozent der CO2-Emissionen aus und verursacht allein in Bau- und Abbruchabfällen über 50 Prozent des Mülls. Es braucht daher Orte, um die Angst vor dem vermeintlich komplexeren Umgang mit dem Bestand zu nehmen und das Umbauen neu zu lernen. Dafür haben wir das UmBauLabor geschaffen.

Wie kann es gelingen, eine neue nachhaltige Umbaukultur zu etablieren? Welche Rolle spielen Architekt:innen und andere Gestalter:innen dabei?

Lillith Kreiß: Wir neigen alle dazu, dem Credo „new is always better“ zu folgen, Reststoffe als Müll zu betrachten und sie als Problem einer anderen Instanz zu verstehen. Obwohl Planer:innen sich in jeder Planungsaufgabe mit dem Bestehenden auseinandersetzen, heißt das selten, dass sie auch im Bestand planen werden, da Bauherr:innen sich heute noch häufiger für den Abriss und den Neubau entscheiden. Das Bauen im Bestand gilt als risikobehaftet. Unter anderem, weil neue Produkte und Konstruktionen in unserem Gewährleistungssystem belohnt werden. Davon müssen wir weg. Müll in seiner aktuellen Form darf gar nicht mehr existieren. Kein Material ist Müll, alles ist Wertstoff. Sobald diese Logik in den Köpfen angekommen ist, können Wertstoffketten entstehen, die Materialien immer weiter nutzbar machen und den Gestalter:innen sowie Architekt:innen das Umbauen ermöglichen.

„Wie viel Wert steckt in diesem Haus?“ Diese Frage steht nicht nur über dem Eingang des Gebäudes in der Bergmannstraße 23 in Gelsenkirchen-Ückendorf, sondern auch über dem gesamten Projekt „UmBauLabor“. Wie wollen Sie dieser Frage in den kommenden drei Jahren genau auf den Grund gehen?

Lillith Kreiß: Die Frage nach dem Wert lässt sich aus verschiedenen Perspektiven betrachten, da jede:r darunter etwas anderes versteht. Um Antworten zu finden und das Projekt zu begleiten, haben wir ein Begleitgremium geschaffen, das über diese Frage diskutiert. Die Themenschwerpunkte des Gremiums reichen vom Quartier über die Gebäudestruktur oder -substanz bis hin zum Wert der im Gebäude gebundenen Ressourcen. Darüber hinaus sprechen wir mit Expert:innen und Nachbar:innen, wir sammeln Impulse und Fragen und planen gemeinsame Formate wie Seminare, Workshops und Gesprächsrunden. Die jeweiligen Ergebnisse zeigen wir einer möglichst breiten Öffentlichkeit. Außerdem bieten wir einen Raum, um das Gelernte zu reflektieren, einzuordnen und wieder infrage zu stellen.

Was ist an genau diesem Gebäude besonders reizvoll oder auch herausfordernd?

Santana Gumowski: Das Gebäude steht stellvertretend für viele andere Gebäude dieser Art im Ruhrgebiet. Es befindet sich im Sanierungsgebiet „Bochumer Straße“ südlich der Innenstadt und des Bahnhofs im Stadtteil Ückendorf. Die Gebäude in der Umgebung sind großteils alte Gründerzeitbauten, viele stehen leer und weisen einen erheblichen Instandhaltungsrückstau auf. Auch das Gebäude des UmBauLabors ist sanierungsbedürftig und blickt auf eine lange Geschichte zurück: 1902 als Fleischereibetrieb und Wohnhaus errichtet, wurde es später unter anderem als Kiosk und Autowerkstatt genutzt. Die verschiedenartigen Nutzungen und Raumgrößen erlauben uns sehr unterschiedliche Formate im Gebäude wie Analysen, Ausbauten, Ausstellungen, Veranstaltungen, Werkstätten und Lagerungen.
In Ückendorf leben etwa 2.800 Bewohner:innen aus circa 35 unterschiedlichen Nationen. Viele von ihnen sind mit den Themen Zirkularität, Umbau und Ressourcenschutz nicht vertraut. Mit unserem Projekt wollen wir nicht nur die Fachwelt ansprechen, sondern auch einen Mehrwert für die Nachbarschaft schaffen. Daher wird Aufklärungsarbeit ein wichtiger Bestandteil unseres Projekts sein.

Das Areal rund um die Bochumer Straße hat sich in den vergangenen Jahren zu einem Kreativquartier entwickelt, in dem sich Künstler:innen, Kreativ- und Kulturschaffende angesiedelt haben. Wie wichtig ist dieses Umfeld für das Projekt? Können auch nicht direkt beteiligte Kreative partizipieren?

Santana Gumowski: Die gut vernetzten Akteur:innen im Quartier beeindrucken uns. Wir möchten von dieser Gemeinschaft lernen und mit ihnen zusammenarbeiten. Die Agentur MXR Storytelling aus dem Quartier unterstützt uns beispielsweise bei der Raumgestaltung. Im November 2023 haben wir zu einem Initiativtreffen ins UmBauLabor eingeladen und nach weiteren Anknüpfungspunkten gesucht. Wir möchten nicht nur Kreativschaffende und Akteur:innen aus der Umgebung unterstützen, sondern sind der Überzeugung, dass wir mit ihnen auch neue Ideen schöpfen können. Für das Jahr 2024 sind bereits einige Kooperationen in Planung. Auf unserem Pageflow zum UmBauLabor sind alle aktuellen Veranstaltungen zu finden.

Gibt es ein Beispiel oder Best Practice, wo für Sie ein nachhaltiges und kreislaufgerechtes Umbauen besonders gelungen ist?

Lillith Kreiß: Wir haben uns am Anfang des Projektes genau das gefragt und gemerkt, dass es einige Projekte mit guten Ansätzen gibt. Fast keines ist jedoch das Umbauen auf eine gesamtheitlich zirkuläre, ressourcenschonende und bestandsorientierte Weise angegangen. Meine Lieblingsprojekte sind z. B. der BOB Campus in Wuppertal, die Umnutzungen der Firma Greyfield, der Umbau des World Trade Centers in Brüssel und das Projekt superlocal in Kerkrade. Oft finde ich auch einzelne Produktansätze spannend, z. B. Strohmodule zur seriellen Sanierung, Legosysteme in Holz- oder Betonalternativen.

Santana Gumowski: Ich würde gerne zwei Pavillons ergänzen: das RoofKIT-Projekt des Solar Decathlon 2022 aus Karlsruhe und den deutschen Pavillon der Architektur Biennale 2023 in Venedig. Beide Projekte haben mir sehr deutlich gezeigt, dass wir weniger verschwenden und unsere Umwelt sozialer und gerechter gestalten sollten und dass es auch gute Möglichkeiten gibt, genau das zu tun.

Am 14. März 2024 findet die erste öffentliche Auftaktveranstaltung im „UmBauLabor“ statt. Wer ist eingeladen, und was erwartet die Besucher:innen?

Lillith Kreiß: Wir laden alle dazu ein, sich an dem Tag mit der Frage „Wie viel Wert steckt in diesem Haus?“ zu beschäftigen. Von Fachexpert:innen bis Nachbar:innen sind hoffentlich viele Interessierte dabei. Die Auftaktveranstaltung besteht aus zwei Teilen: In der Heilig-Kreuz-Kirche begrüßt uns Karin Welge, die Oberbürgermeisterin der Stadt Gelsenkirchen. Anschließend finden verschiedene Diskussionen zu politischen, technischen, planerischen und baukulturellen Themen statt. Vertreterinnen des Bundes- und Landesbauministeriums, der Stadt Gelsenkirchen sowie Fachplaner:innen und Bewohner:innen aus Ückendorf werden daran teilnehmen. Wir sprechen über die Bedeutung des Umbaus und widmen uns der damit verbundenen baukulturellen Vermittlungsaufgabe. Unser Begleitgremium wird zum Abschluss der Frage nach dem Wert eines Hauses nachgehen.

Santana Gumowski: Am Nachmittag bieten wir Führungen durch das UmBauLabor an, bei denen wir die Gebäudestruktur sowie die Ablaufprozesse im Labor erläutern. Zu sehen sind dort auch die Ergebnisse der ersten studentischen Seminare, die sich mit dem Gebäude und Quartier beschäftigt haben. Die Akteur:innen der Initiativen aus der Nachbarschaft bieten außerdem Führungen zu verschiedenen Themen durch das Quartier an. Für die einzelnen Veranstaltungen ist eine Anmeldung erforderlich und möglich ab Ende Januar unter baukultur.nrw/auftaktumbaulabor. Es wird also sehr spannend. Wir freuen uns über jeden Besuch!

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