24. 4. 2024
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Katharina Schmecht & Moritz Swars
Universität Paderborn // Zukunft Feiern

Moritz Swars und Katharina Schmecht

Katharina Schmecht ist Absolventin des Masterstudiengangs „Populäre Musik und Medien“ an der Universität Paderborn und arbeitet dort aktuell als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Nachhaltigkeit und Popkultur. Moritz Swars ist Umweltwissenschaftler und arbeitet selbstständig an der Schnittstelle zwischen praktischem Ökosystemschutz und Klimagerechtigkeit, unter anderem als Leiter des Projekts „Zukunft Feiern“ in Köln, das sich für eine nachhaltige Club- und Festivalkultur einsetzt. Gemeinsam sind sie Teil des Autor:innen-Teams des Handbuchs „Nachhaltigkeit in der Popmusik“. Mit dem Handbuch stellt das PopBoard NRW ein kompaktes Nachschlagewerk für alle Kulturschaffenden zur Verfügung, die sich dem Thema nähern möchten und auf der Suche nach praktischen Tipps sind.

Woran erkennt man beim Besuch eines Konzerts oder einer Party, dass hier nachhaltig gewirtschaftet wird?

Katharina: Es gibt einige Maßnahmen und Handlungsbereiche, an denen sich eine nachhaltig umgesetzte Veranstaltung erkennen lässt. Am offensichtlichsten ist es natürlich dann, wenn Veranstalter:innen offen und transparent kommunizieren, was sie wie nachhaltig umsetzen. Wenn also bewusst nachhaltig gewirtschaftet wird, werden oftmals die Maßnahmen durch Informationen auf der Website oder auch vor Ort hervorgehoben. Als Besucher:in kann man aber vor allem anhand der Verwendung umweltfreundlicher/biologisch abbaubarer oder wiederverwendbarer Materialien – beispielsweise Mehr- statt Einweg – erkennen, dass sich Veranstalter:innen für Nachhaltigkeit einsetzen. Auch anhand der Gastronomie lässt sich das feststellen, wenn lokale und biologische Lebensmittel und Getränke verkauft werden, um auch hier die regionale Wirtschaft zu unterstützen, Transportwege zu verkürzen, Tierwohl zu gewährleisten und Ressourcen zu schonen. Wenn man etwas genauer hinschaut, lässt sich auch erkennen, ob bei der Veranstaltung auf den Wasser- und Energieverbrauch geachtet wird – zum Beispiel, indem wassersparende Armaturen in der Location verbaut sind oder erneuerbare Energiequellen verwendet werden. Oftmals unterstützen Veranstalter:innen auch die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs oder die Anreise mit dem Fahrrad, was natürlich auch ein Zeichen dafür ist, dass man sich da Gedanken zur Nachhaltigkeit gemacht hat. Auch Recycling und Mülltrennung vor Ort können deutlich darauf hinweisen. Es gibt hierbei also einige größere und kleinere Hinweise, dass nachhaltig gewirtschaftet wird, und wenn man darauf Wert legt, lohnt es sich immer, im Vorfeld auf den Infokanälen der jeweiligen Veranstaltung nachzuschauen und auch vor Ort die Augen und Ohren offenzuhalten.

Die Popkultur hat insgesamt einen großen Einfluss auf die Gesellschaft und die Entwicklung von Trends. Glaubt ihr, dass insbesondere die Popmusikbranche auch eine gewisse Verantwortung trägt, sich für nachhaltiges Handeln einzusetzen? Welche Rolle spielen dabei die Künstler:innen?

Katharina: Ich würde hier auf jeden Fall von einer wechselseitigen Beziehung zwischen der Gesellschaft, der Entwicklung von Trends und der Popkultur sprechen. Oftmals lässt sich auch erkennen, dass die Popkultur gesellschaftliche Trends und Tendenzen aufgreift und diese auf diversen Wegen weiterverarbeitet. Und ja, ich denke, dass die Popmusikbranche definitiv eine gewisse Verantwortung trägt, sich für nachhaltiges Handeln einzusetzen. Popmusik und -kultur im Allgemeinen haben eine breite Reichweite und dadurch eine bedeutende kulturelle Einflussnahme. Sie können als Sprachrohr und Verbreiter dienen, um Bewusstsein für Umwelt- und Nachhaltigkeitsfragen zu schaffen und positive Veränderungen zu fördern. Nicht umsonst wird die Kultur(branche) in der aktuellen Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung als wichtiger Hebel für nachhaltige Innovationen, aber auch die Kommunikation und Umsetzung nachhaltiger Werte hervorgehoben. Und auch Künstler:innen können hierbei als Teil des Ganzen eine wichtige Rolle spielen. Durch die Nähe zu ihren Fans und die meist niedrigschwellige Rezeption ihrer Kunst können sie so besonders zu Menschen durchdringen und das Bewusstsein für Nachhaltigkeit erhöhen. Beispielsweise indem sie ihre Plattformen nutzen, um für umweltfreundliches Handeln einzustehen, wichtige umweltrelevante Themen (Klimawandel bspw.) in unter anderem Songtexten und Musikvideos thematisieren, ihre Veranstaltungen und Tourneen nachhaltig gestalten (umweltfreundliche Transportmittel, nachhaltiges Merchandise oder Catering, umweltfreundliche Bühnen- und Beleuchtungstechnik etc.), Kooperationen mit nachhaltigen Marken und Organisationen eingehen und sich in den sozialen Medien und bei öffentlichen Auftritten zu nachhaltigem Handeln positionieren.

Nachhaltigkeit ist ein komplexes Thema mit zahlreichen Wirkungsfeldern. Wo seht ihr im Bereich der Popmusik die größten Hebel, die man für mehr Nachhaltigkeit ziehen kann?

Moritz: Wirkungsfelder und Hebel sind wichtige Begriffe im Diskurs der Nachhaltigkeit. Aus ihnen können Akteur:innen einen eigenen Handlungsrahmen schaffen und abstecken. Zum einen ist es sicherlich sinnvoll, eine gewisse Priorisierung der Wirkungsfelder vorzunehmen, um z.B. unumkehrbare „Tipping Points“ im Klimasystem zu vermeiden. Gleichzeitig muss die Hebelwirkung, bzw. müssen Möglichkeiten der Realisierung (z.B. Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen an Gebäuden aufgrund von Eigentumsverhältnissen) abgewogen werden. Kurzfristig ist der größte Hebel der Popmusik, den Energieverbrauch zu senken und „grünen“ Strom zu verwenden, der z.B. auch durch Genossenschaften und nicht durch maximal profitorientierte Stromanbieter produziert wird. Langfristig liegen die großen Hebel in den strukturellen Herausforderungen, wie bei der Anreise des Publikums, oder einer ressourcenschonenden Tourplanung, bei denen aber auch eine Verkehrswende politisch getragen/gefordert werden muss. In einem erweiterten Begriff einer „Kultur der Nachhaltigkeit“, in der nicht nur die Veranstaltungen „klimaneutral“ oder nachhaltig gestaltet sind, kann die Popmusik auch als Vermittlerin des Themas und als Multiplikator:in agieren und so auch Auswirkungen auf andere Branchen und die Gesellschaft haben. Wenn Künstler:innen und Betriebe nachhaltig handeln, kann das Besuchende auch in ihrem persönlichen Handeln motivieren. Ferner ist es auch wichtig, Probleme in der Umsetzung zu kommunizieren, um auch systemische Probleme sichtbar zu machen.

Worin bestehen die größten Herausforderungen bei Musiker:innen und Veranstalter:innen, das Thema Nachhaltigkeit anzugehen? Und wie kann euer Handbuch da weiterhelfen?

Moritz: Die größten Herausforderungen sind die Komplexität des Themas, Zeit für die Umsetzung und systemische Probleme (z.B. Infrastruktur, Fördersysteme, maximale Profitorientierung in der Gesellschaft). Das Handbuch vermittelt Grundlagen der Nachhaltigkeit und versucht so, eine Komplexitätsreduktion zu schaffen und auch die Brücke zwischen Veranstalter:innen und Musiker:innen zu schlagen. Hier ist der Green Rider ein tolles Beispiel, der praktische Herausforderungen überwinden kann. Ferner soll durch die Sammlung und Auflistung mehr Zeit für die Umsetzung geschaffen werden, um nicht alles recherchieren zu müssen. Wissen zum Handeln ist weitestgehend verfügbar, jedoch fehlt oft die Zeit zur Umsetzung, da Betriebe und Künstler:innen im laufenden Kulturbetrieb auch vielen weiteren Herausforderungen gegenüberstehen. Hier soll das Handbuch einen einfachen Einstieg ermöglichen. Zur ganzheitlichen Umsetzung werden aber auch Stellen für Nachhaltigkeitsexpert:innen benötigt.

Moritz, als Leiter des Projekts „Zukunft Feiern“ bist du nah dran am Geschehen. Wie ist die allgemeine Stimmung und Bereitschaft der Clubbetreiber:innen, sich mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen? Wie nachhaltig ist die Clubszene in NRW bereits? Und wie wichtig ist die Bereitschaft für nachhaltiges Verhalten bei den Clubbesucher:innen?

Moritz: Meine Erfahrung ist, dass einige Clubbetreiber:innen sich bereits seit vielen Jahren mit dem Thema auseinandersetzen und sich für einen ressourcenschonenden Betrieb starkmachen. Dies fällt nicht unbedingt bei jedem Besuch auf, da viele Maßnahmen im Hintergrund laufen und Veranstalter:innen auch nicht unbedingt mit ihren Maßnahmen „prahlen“ wollen. Natürlich gibt es auch eine betriebswirtschaftliche Perspektive zum Einsparen von Energie, aber das Thema ist auf jeden Fall auch aus einer Klimaschutzperspektive und anderen Nachhaltigkeitsdimensionen in Köln angekommen. In NRW haben wir beim CLUB-Tag NRW einen Einstieg in das Thema auf Landesebene gefunden und hoffen, hier das Netzwerk zu erweitern. Einen genauen Stand für NRW kann ich aber noch nicht abschätzen. Generell haben Clubbetreiber:innen schon häufig kreative Lösungen für ihre Räume gefunden und können auch so beim Thema Nachhaltigkeit spannende Lösungsansätze liefern. Wenn wir von „strukturierenden Strukturen“ in der Gesellschaft ausgehen, können Clubs auch die Bereitschaft für nachhaltiges Verhalten bei Besuchenden fördern und vice versa. Das Bewusstsein entsteht im Prozess und bedarf einer gewissen Bereitschaft, aber eben auch einer positiven Erfahrung. Praktisch kann das z.B. beim Thema Wein beobachtet werden. Gezapfter Wein, der nicht in Flaschen geliefert wird, spart viele Ressourcen und Energie, wird aber auf den ersten Blick als qualitativ minderwertig aufgefasst, was aber größtenteils falsch ist. Ist diese Hürde in der Praxis aufgrund von Bereitschaft und Angebot einmal überwunden, gibt es einen Fortschritt, der sich aber zwischen Betreiber:innen und Besucher:innen bedingt.

Im Handbuch stellt ihr auch einige Good Practices aus NRW vor. Könnt ihr euer Lieblingsprojekt nennen und beschreiben, warum ihr es besonders gelungen findet?

Katharina: Ich finde es total schwer, mich auf einen Favoriten zu beschränken. Wir stellen ja im gesamten Handbuch immer wieder Maßnahmen vor, die zur nachhaltigen Umsetzung von Veranstaltungen (sei es seitens der Veranstalter:innen oder der Künstler:innen) beitragen. Manche Maßnahmen, die wir beschreiben, werden natürlich auch in den Good Practices umgesetzt. Ich beschäftige mich aktuell auch viel aus anderweitigen beruflichen Gründen mit dem Orange Blossom Special Festival, das Mitte Mai stattfindet und in unseren Good Practices aufgeführt wird. Besonders gelungen finde ich daran, wie sie ihre Nachhaltigkeitskonzepte offen und ausführlich auf der Website kommunizieren und so ihre Herangehensweisen und Learnings auch für andere Veranstalter:innen nutzbar machen, aber auch Besucher:innen einladen, mit offenen Augen während der Veranstaltung auf die Maßnahmen zu achten und einen großen Teil dazu beizutragen. Sie machen deutlich, dass ein Festival nach wie vor dazu da ist, Lebensfreude zu vermitteln und auch mal dem Alltag zu entfliehen – was aber keinesfalls ein Widerspruch sein muss, verantwortungsbewusst zu handeln und zu sensibilisieren. Es wird also besonders im Vorfeld dafür gesorgt, dass Besucher:innen detaillierte Infos und Strukturen zur Anreise mit ÖPNV oder Fahrrad erhalten, dass ein unkompliziertes Pfand-Mehrwegbecher-System implementiert wird, die Urinale mit Abwasser aus den Bierbuden gespült werden, Ökostrom genutzt wird und noch ganz viele weitere Maßnahmen ergriffen werden, die den Besucher:innen und Veranstalter:innen ermöglichen, mit gutem Gewissen zu feiern.

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