29. 6. 2023
creative.talk

Claudia Herling
international Gender Design Network e.V.

Claudia Herling ist Expertin für Gender und (digitales) Design und seit diesem Jahr neue Vorsitzende des international Gender Design Network e.V., das 2023 sein 10-jähriges Jubiläum feiert. Die Diplom-Designerin ist Mit-Inhaberin des Kölner Designstudios digitale frische, arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Labor für Sozioinformatik an der Hochschule Heilbronn und lehrt „Gendering Design“ an der Kunstuniversität Linz in Österreich. Claudia Herling publiziert und lehrt im Bereich Design seit über 15 Jahren.

Frau Herling, welches Designbeispiel hat Sie in letzter Zeit in puncto Gender Design besonders erfreut, und welches hat Sie eher geärgert?

Im Moment freue ich mich über gutes Storytelling und die Darstellung von vielseitigen Charakteren. In Kinder-/Jugendserien werden immer öfter queere Charaktere und diverse Familienmodelle mit großer Selbstverständlichkeit und klischeefrei erzählt, ohne sie allein auf das „queer sein“ zu reduzieren. Beispiele hierfür sind „Prinz der Drachen“ oder „Willkommen im Haus der Eulen“.
Stereotype Personendarstellungen sind entsprechend ärgerlich und auch einfach einfallslos. Besonders problematisch wird es, wenn Produkte Ungerechtigkeiten verstärken und nicht für alle Geschlechter gleich gut funktionieren. Ein Beispiel ist die schlechte Klangwiedergabe von weiblichen Stimmen in Videokonferenztools. Wer hört schon gern einer Person zu, deren Stimme undynamisch klingt? Das ist subtil und natürlich keine Absicht — ein klassischer „Male Default“ im Testen bzw. als Norm für das Design. Daher ist Forschung im Bereich Gender Design und Technikentwicklung auch so wichtig, sonst werden solche Ungleichheiten gar nicht entdeckt.

Sie sind Expertin für Gender und (digitales) Design. Was hat Sie zum Thema gendersensible Gestaltung geführt, und warum ist es für Sie so wichtig?

In meinem Studium an der KISD war das Thema gendersensibles Design mit der Professur von Uta Brandes fest verankert, es gehörte einfach zum Gesamtstudium dazu. Wie einzigartig das damals war und bis heute ist, wurde mir erst später bewusst. Wichtig ist das Thema speziell im Design, weil wir als Designer:innen entscheiden, wer wie sichtbar gemacht wird, für wen was wie verfügbar ist und funktioniert. Natürlich wollen wir alle faire Produkte entwickeln, aber wenn wir nicht berücksichtigen, dass unsere Gesellschaft und damit auch wir selbst von patriarchalen Strukturen geprägt sind, laufen wir Gefahr, bestehende Ungleichheiten zu reproduzieren und zu verfestigen. Gerade digitale Produkte sind weltweit millionenfach im Einsatz, das ist eine entsprechende Verantwortung.

Geschlechterspezifisches Design ist insbesondere bei der Gestaltung von Konsumgütern – beispielsweise Drogerieartikel oder Spielwaren ­– und dem dazugehörigen Marketing an der Tagesordnung. Dahinter stecken ganze Industrien, die auf möglichst hohen Umsatz bedacht sind. Kommt man hier mit dem Thema Genderdiversität überhaupt weiter?

Erst einmal: Marketing ist nicht Design. Natürlich werde ich als Designerin nicht allein eine ganze Industrie zu irgendetwas bekehren. Aber letztlich ist deren Modell wenig nachhaltig. Aus Marketingsicht gesprochen, verpassen sie sehr viele Chancen und erreichen sie große Zielgruppen mit diesen Rollenklischees nicht. Aber auch hier tut sich etwas, Genderdiversität wird immer mehr Thema, auch in Kampagnen von großen Marken. Wichtig ist es zudem, Praktiken wie die Pink Tax (gleiche Produkte abhängig vom Geschlecht teurer zu verkaufen) sichtbar zu machen und zu verändern. Das hat ja auch etwas mit sozialer Gerechtigkeit zu tun.

Wie sieht für Sie gutes Design aus? Wie gehen Sie selbst an Gestaltungsprozesse heran?

Gutes Design kann so vieles sein. Es darf lustig, spielerisch, überraschend, provokant oder schlicht und zurückhaltend sein. Das hängt ja vom Kontext ab. Grundlage ist jedoch immer, dass es möglichst fair und nicht diskriminierend ist. Man sollte meinen, dass dies offensichtlich ist, aber das ist gar nicht so leicht. Im Gestaltungsprozess heißt das, früh mit vielfältigen Nutzer:innen zu sprechen, wenn möglich diese einzubeziehen, um nicht nur die eigenen Vorstellungen zu reproduzieren. Und Kund:innen hinsichtlich gendersensibler Gestaltung gut zu beraten, das beginnt ja schon bei der Wahl von Bildern.

Das iGDN – international Gender Design Network feiert dieses Jahr sein 10-jähriges Jubiläum. Was sind die Aufgaben und Ziele des Netzwerks. Wie hat sich das Netzwerk und generell das Thema Gender Design in den letzten 10 Jahren entwickelt?

Das Netzwerk setzt sich für gendersensible Gestaltung ein und dafür, ihre Gestalter:innen sichtbar zu machen. Begonnen haben wir mit Ausstellungen und Tagungen, und seit 2017 verleihen wir den ersten und einzigartigen internationalen Gender Design Award iphiGenia. Neben dem Thema Sichtbarkeit ist uns auch wichtig, Genderkompetenzen im Designprozess an sich und in der Praxis zu verankern. Wir bieten daher Workshops in Hochschulen an, national wie international, und beraten Unternehmen. Mit Corona und der damit einhergehenden Etablierung von digitalen Kommunikationstools ist auch unser Netzwerk noch einmal stark gewachsen, und die internationale Zusammenarbeit einfacher und intensiver geworden, z. B. die Juryarbeit mit Prof. Griselda Flesler aus Argentinien oder digitale Workshops mit Universitäten wie der UAM in Mexiko City.

Am 15. Juni wurde der iphiGenia Gender Design Award in drei Kategorien verliehen, und Sie waren Juryvorsitzende. Welches Projekt hat Sie besonders beeindruckt? Konnten Sie bestimmte Designtrends erkennen?

Mich hat vor allem die Bandbreite und die Tiefe der Entwürfe beeindruckt, gerade bei den studentischen Arbeiten! Hier gibt es großes Interesse und Ernsthaftigkeit dem Thema gegenüber. Thematische Trends bei den Einreichungen insgesamt waren Design im Bildungssektor und für sozialen Wandel. Wie können Personen durch Design in soziale Prozesse einbezogen werden? Ein anderes großes Thema war Sicherheit im öffentlichen Raum.

Das iGDN wurde 2013 von zwei Kölner:innen, Prof. Dr. em. Uta Brandes, der ersten internationalen Professorin für Gender im Design überhaupt, und Prof. Dr. Michael Erlhoff in New York gegründet. Sein Hauptsitz befindet sich mittlerweile in Nordrhein-Westfalen bzw. Köln. Kann man sagen, dass die Designwirtschaft in NRW beim Thema Gender im Design besonders fortschrittlich ist?

Auf jeden Fall. Die Stadt Köln und die Wirtschaftsförderung unterstützen unsere Arbeit und den Award von Beginn an, ebenso das Museum für angewandte Kunst als Gastgeber und Veranstaltungsort. Das hat Strahlkraft!

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