Welche Eigenschaft, Strategie oder Angewohnheit sollten Unternehmer:innen am besten schnell wieder verlernen?
Klassische Betriebswirtschaft liefert nur einen eingeschränkten Blick auf die Unternehmensführung und fokussiert aus verständlichen Gründen vor allem auf die Finanzzahlen. Diese sind natürlich wichtig, wenn ich das wirtschaftliche Überleben meines Unternehmens sicherstellen möchte. Aber wenn ich das Unternehmen nur nach diesen Kennzahlen steuere, fehlt ein ganzheitlicherer Blick auf längerfristige Themen wie Kultur, Werte, Partnerschaften und einen positiven Einfluss, der über das eigene Unternehmen hinausgeht.
Für Wildling ist es sehr wichtig und sinnstiftend gewesen, gemeinsam mit dem Team eine Vision und Werte zu definieren, die weit über die Jahresendzahlen hinausgehen. Daraus zieht eine Kultur ein Zusammengehörigkeitsgefühl und Motivation.
Sie haben gemeinsam mit Ihrem Mann vor acht Jahren Wildling Shoes mit einer Crowdfunding-Kampagne gestartet und sind mittlerweile zu einem erfolgreichen nachhaltigen Modeunternehmen mit über 200 Mitarbeiter:innen gewachsen. Was war Ihr Erfolgsrezept? Welchen wichtigsten Tipp würden Sie zukünftigen Gründer:innen mit auf den Weg geben?
Das Beste an unserer unternehmerischen Reise war, dass wir buchstäblich keine Ahnung hatten. Wir wussten weder, wie man Schuhe herstellt, noch, wie man ein Unternehmen führt. Die meisten Leute wussten es besser als wir. Dass wir nicht auf ihre Ratschläge hörten, war ein Segen, denn so konnten wir (und können immer noch) alles in Frage stellen und unseren eigenen Weg finden, die Dinge zu tun. Hätten wir auf ihr Fachwissen gehört, wären wir bei einer anderen Version des Alten gelandet. Deshalb nur dies:
1. Vertraue auf deine Intuition.
2. Arbeite nur mit Menschen, die du magst.
3. Konzentriere dich auf das, was du gerne tust, und delegiere den Rest.
4. Finde eine Aufgabe, die größer ist als dein Ego.
5. Höre auf niemanden. 😉
Im Zentrum der Firmenphilosophie von Wildling Shoes steht das Prinzip der Regeneration, was über Nachhaltigkeit hinausgeht. Was verstehen Sie unter regenerativem Wirtschaften und wie setzen Sie es in ihrem Unternehmen um?
Unsere Vision ist, ein regenerativ wirtschaftendes Unternehmen zu werden, das durch die wirtschaftliche Tätigkeit an sich einen positiven Beitrag leistet – mit einer regionalen, dezentralen und vielfaltsbasierten Wertschöpfung, mit einer gerechten Umverteilung von Finanzen, in kollektivem Eigentum. Ein Unternehmen, das keinen Abfall produziert, das nur jene Ressourcen nutzt, die sich innerhalb eines gegebenen Zeitraums erneuern können, das Wissen teilt und aus Kooperationen schöpft und das, nicht zuletzt, ein Ort ist, an dem man mit Spaß einer sinnhaften Tätigkeit nachgehen kann.
All das ist lang nicht erreicht, und sicherlich wird auch diese Vision immer weiter wachsen. Aber jeder Schritt in diese Richtung fühlt sich richtig und sinnvoll an.
Nehmen wir die Wertschöpfungskette: Wir erstellen für jeden Schritt Konzepte, die mindestens keinen Schaden anrichten und besser noch einen positiven Impact hinterlassen. Also vom Anbau unserer Rohstoffe in syntropischen Systemen (eine Form der regenerativen Landwirtschaft, die das Ökosystem des Regenwaldes nachahmt – Anm. d. Red.) über die Umsetzung von Konzepten für ganzheitlichere Arbeitsmodelle, höhere Umweltstandards mit unseren Lieferant:innen und eine verlängerte Lebensdauer des Produkts durch Qualität und Reparatur bis hin zu einem Schuh, der in Komponenten recycelt (neue Rohstoffe für neue Schuhe) beziehungsweise kompostiert wird (Humus für unsere Anbausysteme). Natürlich entstehen etwa durch Transport und Lagerung trotzdem negative Einflüsse, die es zu minimieren und den Rest zu kompensieren gilt. Entlang der regenerativen Wertschöpfungskette werden aber auch zusätzliche Vorteile entstehen, wie zum Beispiel Zukunftsperspektiven für ländliche Bereiche, mehr Bodenqualität und CO2-Bindung, sinnhaftere und gesündere Arbeitsplätze in der Produktion oder mehr alternative Energiequellen.
Sie sind Mitinitiatorin des Projekts „Unlearn Business Lab“, das eine Community für den Systemwandel aufbauen will. Was steckt genau dahinter und wie kann man sich beteiligen?
Der Gedanke hinter dem Unlearning Business Lab ist ein gemeinsames Lernen und Verlernen: Es geht darum, gemeinsam zu reflektieren, systemische Lösungen zu entwickeln und zu testen, um so die Art und Weise, wie wir leben und arbeiten, zu verändern. Wir möchten eine Brücke schlagen zwischen dem Wissen darüber, was in unserem derzeitigen Wirtschaftssystem falsch läuft, der Vorstellung, wie wir es gerne hätten, und der tatsächlichen Möglichkeit, etwas Neues entstehen zu lassen. Den Raum dazu schaffen die Unlearn Business Lab Community und die Unlearn Business Labs. Diese bieten Interessierten, Praktiker:innen und Expert:innen die Möglichkeit, sich mit verschiedenen thematischen Schwerpunkten wie Unlearn Leadership, Unlearn Geld oder Unlearn Lieferketten auseinanderzusetzen und gemeinsam aktiv Veränderungen zu gestalten
Um eine gemeinsame Basis für die Unlearn Business Labs zu legen, findet diese Woche (23.11. & 24.11.) das Unlearn Business Lab Assembly Event in Berlin statt.
Das Hinterfragen und Aufbrechen konventioneller Strukturen und das Finden innovativer Lösungsansätze sind Fähigkeiten, die insbesondere die Kultur- und Kreativwirtschaft auszeichnen. Welche Rolle spielen für Sie Kreativschaffende bei solchen Prozessen?
Ich sehe im Hinterfragen von konventionellen Strukturen und im Finden innovativer Lösungsansätze eher eine Lebenshaltung, als dass ich es allein Kreativschaffenden zuschreiben würde. Eine Situation oder Aufgabe nicht als gegeben zu betrachten, sondern sich die Freiheit zu nehmen, sie aus vielen unterschiedlichen Perspektiven anzuschauen, ermöglicht auch in der Wirtschaft neue Lösungen zu finden. Bei Wildling arbeiten viele kreative Köpfe, darunter auch einige Quereinsteiger:innen aus der Kreativwirtschaft, die spannende Perspektiven mit einbringen. Ein ständiges Hinterfragen des Status Quo ist aber immer fester Teil von Wildlings Kultur.
Wie sieht für Sie der erste Schritt in Richtung einer zukunftsfähigen, regenerativen Wirtschaft aus? Was würden Sie sich wünschen?
Unter dem Begriff Nachhaltigkeit wird oft die „Erhaltung des Status Quo“ verstanden. Das ist aber angesichts der sozialen und ökologischen Zustände, in denen wir uns befinden, nicht mehr ausreichend. Was es braucht, ist ein Miteinander – auch und gerade in der Wirtschaft –, das darauf ausgelegt ist, nicht nur oberflächliche Erhaltung zu betreiben, sondern regenerative Bedingungen zu schaffen.
Wir glauben fest daran, dass wir nur gemeinsam weiterkommen. Echter Wandel braucht uns alle, daher ist es umso wichtiger, dass wir aus dem kapitalistischen Wettbewerbsmodus herauskommen und stattdessen auf radikale Zusammenarbeit setzen. Dazu gehört, Wissen zu teilen, mit- und voneinander zu lernen und gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Ich wünsche mir, dass wir es schaffen, uns von den Vorgaben des Systems und unserer Sozialisierung zu lösen, um zusammen eine Modebranche und Wirtschaft zu gestalten, die auf Vielfalt, Gerechtigkeit und Regeneration basiert.
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