18. 9. 2024
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Valentin Thurn
ThurnFilm

Valentin Thurn

Der Regisseur Valentin Thurn wurde international bekannt mit „Taste the Waste – die globale Lebensmittelverschwendung“ und „10 Milliarden – Wie werden wir alle satt?“. Beide Kino-Dokumentarfilme waren Publikumsrenner und gewannen zahlreiche Preise im In- und Ausland. 2003 gründete er die ThurnFilm GmbH in Köln und produziert seither auch Filme anderer Autor:innen und Regisseur:innen – stets mit Fokus auf gesellschaftspolitisch relevante Inhalte.
ThurnFilm ist am 27. September 2024 ein Zielort der Exkursionsreihe SUSTAINABLE CREATIVES, die Good-Practice-Beispiele der Kölner Kreativwirtschaft besucht und die Vernetzung zum Thema Nachhaltigkeit unter Kreativschaffenden fördern will.

Foto: Alex Weiß

Mit deinem Film „Taste the Waste“ hast du 2011 als einer der Ersten in Deutschland die Praxis des „Impact Producing“ eingeführt und erfolgreich umgesetzt hat. Was steckt genau dahinter?

Beim Impact Producing geht es darum, einen Dokumentarfilm mit einer Impact-Kampagne zu begleiten, so dass der Film auch außerhalb des Kinos wahrgenommen wird und neue Zuschauerschichten ins Kino gelockt werden oder zumindest für das Thema sensibilisiert zu werden. Wir haben damals tatsächlich aus dem Beispiel angelsächsischer Länder gelernt. In Deutschland gab es den Begriff Impact nicht, wir haben es trotzdem gemacht. Beim Film „Taste the Waste“, in dem es um das Thema Lebensmittelverschwendung geht, sind wir zum Beispiel mit Kochaktionen in die Fußgängerzonen vieler großer Städte gegangen. Wir haben die Bauern gefragt, ob sie uns Gemüse spenden können, das die Supermärkte nicht abnehmen und sie aussortieren müssen, weil es nicht genormt ist. Und genau dieses Gemüse haben wir dann für Tausende von Menschen gekocht.

Das hätten wir als Filmproduktion natürlich nie allein organisieren können. Das ging nur, indem wir Partnerschaften eingegangen sind mit Vereinen und Verbänden, wie Slowfood oder Brot für die Welt, teilweise auch Unternehmen. Außerdem hatten wir eine Mitarbeiterin, die sich speziell um die Vorbereitung und Durchführung der Aktionen gekümmert hat.

Zusätzlich haben wir ein Buch herausgegeben, was wir auch bei anderen späteren Filmen ähnlich gemacht haben, und das mündete eigentlich jedes Mal darin, dass wir einen Musikclip gedreht haben, um speziell auch für die Bildungsarbeit die Schulen zu erreichen.

In Zeiten von Rechtspopulismus, Klimakrise und damit verbundenen Desinformationskampagnen scheinen Filme mit gesellschaftlichem Impact wichtiger denn je. Wie groß ist deiner Meinung nach die Macht der (Film)Bilder? Kann ein Film die Gesellschaft verändern? Und was braucht es dafür?

Definitiv. Ich erlebe das immer wieder, wie Film Menschen motivieren kann. Ich denke da gar nicht so sehr in Zahlen – im Fernsehen hat man ja oft das Zehnfache an Zuschauer:innen im Vergleich zum Kino, aber der individuelle Impact ist ein ganz anderer. Im Kino gucken die Leute intensiver zu, und da ist die emotionale Wirkung manchmal so groß, dass die Leute auch beschließen, ihr Leben zu verändern. Bei „Taste the Waste“ habe ich es selbst erlebt. Es gibt eine solidarische Landwirtschaft in München, das Kartoffelkombinat, inzwischen die größte in Deutschland. In ihrem ersten Newsletter stand: „Wir haben ,Taste The Waste’ gesehen und beschlossen: Wir müssen etwas an unserer Ernährung ändern.“ Wenn das die Auswirkung von einem Film ist, dann freut mich das sehr.

Darüber hinaus glaube ich, dass bei schwierigen Themen durch Filme Blockaden im Kopf überwunden werden können. Bei „Taste the Waste“ war es Lebensmittelverschwendung, was auch so ein Ding war, das wir gerne verdrängt haben. Noch größer ist die Blockade bei unserem Film „Holy Shit“. Da geht es um unsere Ausscheidungen, da möchten viele einfach überhaupt nicht drüber reden. Dabei wäre es aus Nachhaltigkeitsgründen superwichtig, und deswegen haben wir diesen Film auch mit ein bisschen Humor gemacht. Das kann Film eben auch – für ein Thema, mit dem wir einen sehr schwierigen Umgang pflegen, die Herzen öffnen.

Wie sieht es beim Thema Nachhaltigkeit auf Seiten der Sender und Streaming-Anbieter aus – unterstützen (und finanzieren) sie Impact-Kampagnen und gesellschaftlich relevante Themen? Hat in den letzten Jahren eine Entwicklung stattgefunden?

Ich würde es eher ein Auf und Ab nennen. Wir arbeiten hauptsächlich für die öffentlich-rechtlichen Sender, und da gibt es nach wie vor ein großes Interesse an Nachhaltigkeitsthemen, wenn man sie nicht nachhaltig nennt. Man muss es schon irgendwie interessant verpacken. Die Finanzierung von Impact-Kampagnen ist aber sehr schwierig, da nur die Produktionskosten kalkuliert werden und für das Marketing nichts mehr dazugetan wird. Das ist meines Erachtens ein großer Fehler, vor allem auf dem internationalen Markt. In den angelsächsischen Ländern ist das anders. Da gibt es nicht so viele öffentliche Finanzierer, sondern mehr private Mäzene, die für die Impact-Kampagne nochmal was obendrauf legen, damit der Film auch gesehen wird.

Wir haben die Entwicklung nun ein bisschen angeschubst, indem wir einen Fonds zur Unterstützung solcher Filme gegründet haben, The Good Media Fund. Verwaltet wird er von The Good Media Network, und die AG DOK Berufsverband Dokumentarfilm, bei der ich Vorstandsmitglied bin, ist Kooperationspartner. Wir haben dieses Jahr erstmals sechs Dokumentarfilme ausgewählt, die an drei Tagen in Berlin ihre Impact-Kampagnen entworfen und für den Pitch vor potenziellen Partnern, der im Oktober folgt, trainiert haben. Zusätzlich bekommen sie eine Startfinanzierung von ungefähr 10.000 Euro. Das wird vielleicht noch nicht reichen, aber es ist schonmal ein guter Start, um jemanden für die Impact-Kampagne einzustellen. Im Idealfall tragen wir dazu bei, dass ein neuer Berufsstand entsteht, der des Impact Producers, den es in Deutschland bisher nicht gibt.

ThurnFilm ist am 27. September 2024 ein Ort der Exkursionsreihe SUSTAINABLE CREATIVES. Ziel der Reihe ist, den Kreativschaffenden Impulse für nachhaltiges Arbeiten und Wirtschaften zu geben. Wie schätzt du die aktuellen Bestrebungen der Kölner Kreativbranchen – insbesondere der Filmbranche – in Sachen sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit ein? Welche Rolle spielt dabei der wechselseitige Austausch?

Ich erlebe es tatsächlich nicht so sehr in der Filmbranche. Wir diskutieren vielleicht über Green Producing, aber das ist mehr eine bürokratische Pflicht, nicht etwas, was genuin aus der Branche selbst kommt. Generell gibt es aber einige Branchen in NRW, die durchaus sehr stark von sich aus an Nachhaltigkeit interessiert sind – vor allem Veranstalter:innen und die Event-Branche. So eine Vernetzung auf landesweiter Ebene, wie ihr das jetzt macht, das habe ich so bisher noch nicht mitgekriegt und finde ich super. Da kriege ich mehr aus Berlin mit. Da gibt es Events, die im Sommer-Pavillon des Bundestages stattfinden und wirklich eine starke Ausstrahlung haben. Da können wir sicherlich noch nachlegen in NRW.

Was empfiehlst du Film- und Medienschaffenden in NRW, wenn sie sich für Nachhaltigkeit einsetzen und selbst Impact-Strategien entwickeln wollen? Welche Anlaufstellen, Initiativen oder Veranstaltungen gibt es?

Zunächst natürlich das eben genannte The Good Media Network. Da kann man sich im späten Winter schon für die neue Runde bewerben. Da versuchen wir jetzt mit der Film- und Medienstiftung NRW, auch einen Ableger hier in NRW zu schaffen oder zumindest Ideen zu liefern. Ansonsten machen wir von der AG DOK regelmäßig Veranstaltungen zu Impact-Themen, die man auf der Website finden kann.

Themenwechsel: Du hast kürzlich eine Tagung der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm (AG DOK West) zum Thema „KI für Dokumentarfilm und TV-Dokumentation“ moderiert. Welche Rolle spielt KI bei euch? Ist sie Freund oder Feind?

Sie ist beides. In historischen Stücken zum Beispiel, wo man sich früher mit Grafik oder mit Reenactments beholfen hat, hast du jetzt mit den bildgebenden Verfahren neue Möglichkeiten, wobei die gerade erst im Entstehen sind. Aber im Ton kannst du alles Mögliche machen. Mit KI hast du die Chance, da wo es keine Bilder oder Töne gibt, diese zu erschaffen. Andererseits haben wir einen Vertrag mit dem Zuschauer. Der Zuschauer glaubt oder weiß: Im Dokumentarfilm sind die Bilder und Töne echt. Durch KI besteht dann die Gefahr, dass wir diesen Vertrag verletzen. Dann schaufeln wir unser eigenes Grab, wir unterminieren unsere Glaubwürdigkeit, und das ist wirklich schwierig.

Um dem Problem zu begegnen, wollen wir auf dem Dokumentarfilm-Festival DOK Leipzig im November einen Code of Conduct, einen Ethikkodex, vorstellen. Damit wollen wir keine Zensur, dass der Staat uns irgendetwas vorschreibt, sondern dass sich Filmemacher:innen sozusagen selbst verpflichten. Ich weiß aber auch, dass ARD und andere Sender sich durchaus Gedanken darüber machen. Es geht im Prinzip alles in die Richtung des AI Act, also des Gesetzes, das auf EU-Ebene erlassen wurde und ab nächstem Jahr gültig ist. Da geht es im Wesentlichen um Transparenz. Der Zuschauer soll erkennen: Dieses Bild wurde verändert.

Vielleicht brauchen wir auch noch ein Kontrollmedium wie den Presserat. Also auch keine Zensur, sondern die Möglichkeit, bestimmten Medien bei Nichteinhalten der Transparenz-Regeln eine Rüge auszustellen, die sie dann auch veröffentlichen müssen. Das wird aber natürlich diese Entwicklung nicht stoppen, es wird nur die schlimmsten Auswirkungen verhindern.

Wir müssen alle überlegen: Was macht das mit unseren Berufen? Die ersten, die wegrationalisiert werden, sind die Texter:innen und die Grafiker:innen. Aber vielleicht finden die ja auch mit KI auf einem höheren Level doch einen weiteren Fortschritt. Bei der Regie habe ich gerade noch keine Angst, aber wer weiß, was noch alles passiert. Über den Ethikkodex werden wir uns wahrscheinlich jedes Jahr oder alle paar Jahre neu unterhalten, weil sich die technische Entwicklung sofort wieder verändert.

Was darf man von ThurnFilm demnächst erwarten? An welchen Projekten arbeitet ihr aktuell?

Wir machen gerade zwei Kinofilme über das Thema Klima, die wir nächstes Jahr herausbringen wollen. Das ist einmal ein Film über eine Antarktisexpedition mit einem Forschungsschiff, die Polarstern, die aber mal nicht zum Nordpol, sondern zum Südpol gefahren ist. Und bei dem anderen Film geht es um eine neue Form der Landwirtschaft, Arbeitstitel war „Climate Farmers“. Es fing alles sehr idealistisch an und endet gerade ein bisschen im Desaster. Ich weiß noch nicht genau, wie das Ende sein wird. Dokumentarfilme schreibt eben das Leben, und manchmal hast du einen ganz anderen Verlauf, als du eigentlich glaubst. Das kann natürlich auch für Spannung sorgen.

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