Ihr organisiert die Circular Textile Days (CTD). Was war eure Motivation, die CTD ins Leben zu rufen?
Unsere beiden Gründer, Pieter van Kessel und Chris Koeleman, haben in der Textilindustrie eine zunehmende Tendenz wahrgenommen – eine deutliche Nachfrage nach Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft. Angesichts der überwältigenden Menge an Informationen und der rasanten Veränderungen in der Branche wurde es für Unternehmen und Einzelpersonen jedoch immer schwieriger, verlässliche und umsetzbare Antworten zu finden. Die Circular Textile Days wurden deshalb als Lösung für diese Herausforderung ins Leben gerufen – eine Plattform, die praktische, konkrete Antworten bietet, von denen die Menschen wirklich profitieren können. Unser Ziel war es, eine Veranstaltung zu schaffen, bei der Fachleute der Branche zusammenkommen können, um Klarheit zu schaffen, Wissen auszutauschen und konkrete Schritte in Richtung einer nachhaltigeren Zukunft zu unternehmen.
Die CTD stehen unter den Schlagwörtern fair, transparent, knowledge und collaboration. Warum sind Wissenstransfer und Kooperationen so wichtig beim Thema Kreislaufwirtschaft?
Auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft hat keine einzelne Organisation oder Person alle Antworten. Die Herausforderungen, vor denen wir bei der Umwandlung der Textilindustrie in ein Kreislaufmodell stehen, sind komplex und miteinander verknüpft und erstrecken sich über die gesamte Wertschöpfungskette – von der Rohstoffbeschaffung bis zum Produktmanagement am Ende des Lebenszyklus. Aus diesem Grund sind der Austausch von Wissen und die Förderung der Zusammenarbeit von entscheidender Bedeutung.
Die Kreislaufwirtschaft lebt von Innovationen; und Innovationen entstehen aus unterschiedlichen Perspektiven und kollektivem Fachwissen. Wenn wir Wissen offen und transparent teilen, beschleunigen wir die Lernkurve für alle Beteiligten. So können wir bewährte Verfahren besser identifizieren, häufige Fallstricke vermeiden und Lösungen entwickeln, die ganzheitlicher und effektiver sind.
Kooperationen wiederum sorgen dafür, dass diese Lösungen in großem Maßstab umgesetzt werden. Durch die Zusammenarbeit können die verschiedenen Akteur:innen der Branche – von Hersteller:innen und Designer:innen bis hin zu politischen Entscheidungstragenden und Verbraucher:innen – ihre Bemühungen auf gemeinsame Ziele ausrichten. Dieser kollektive Ansatz verstärkt nicht nur die Wirkung, sondern stellt auch sicher, dass der Übergang zur Kreislaufwirtschaft fair und inklusiv ist und allen Beteiligten zugutekommt.
Bei den Circular Textile Days legen wir großen Wert auf Wissensaustausch und Kooperationen, weil wir glauben, dass dies die Grundlage für eine wirklich nachhaltige und kreislauffähige Textilindustrie ist. Nur wenn wir unsere Ressourcen, Erkenntnisse und Erfahrungen bündeln, können wir die vor uns liegenden großen Herausforderungen meistern und eine Zukunft schaffen, in der Kreislaufwirtschaft die Norm ist und nicht die Ausnahme.
Für zwei Tage kommen internationale Vertreter:innen der gesamten Textilwirtschaftskette auf eurer Messe zusammen. Welche Themen und Herausforderungen sind in diesem Jahr besonders präsent, und was sollten Start-ups aus der Branche im Blick haben?
Eines der drängendsten Themen, die wir in der gesamten Branche beobachten, ist die Unsicherheit im Zusammenhang mit Vorschriften und deren Auswirkungen auf den Textilsektor. Viele Verordnungen sind von Region zu Region unterschiedlich, was es für Unternehmen schwierig macht, international tätig zu sein. Dies ist ein wichtiger Schwerpunkt bei den Circular Textile Days, wo wir diese Bedenken in verschiedenen Sitzungen ansprechen. So organisiert die Stichting UPV aus den Niederlanden eine Diskussion über die erweiterte Herstellerverantwortung (Extended Producer Responsibility, kurz: EPR), zudem gibt es Sessions mit der European Apparel and Textile Confederation (EURATEX) und dem Non-Profit-Netzwerk GS1, die sich mit den Feinheiten des digitalen Produktpasses befassen. Darüber hinaus erkunden wir künftige Trends und Innovationen und zeigen auf, was derzeit auf dem Markt verfügbar ist und neu entsteht.
Was Start-ups betrifft, gibt es nicht nur einen bestimmten Bereich, auf den sie sich konzentrieren sollten, da es weitgehend davon abhängt, wo sie innerhalb der Lieferkette stehen. Genau das macht die Circular Textile Days so wertvoll – es ist eine Plattform, auf der sowohl kleine als auch große Unternehmen zusammenkommen können, um sich gegenseitig zu inspirieren und voneinander zu lernen. Egal, ob ihr gerade erst angefangen habt oder ihr euch vergrößern wollt: Alle haben die Möglichkeit, Impulse zu gewinnen, die direkt auf das eigene Unternehmen anwendbar sind, ganz gleich, wo man sich in der Kette befindet. Die wichtigste Erkenntnis für Start-ups ist, anpassungsfähig zu bleiben, sich über gesetzliche Änderungen zu informieren und offen zu sein für die Zusammenarbeit und das Lernen von etablierten Akteur:innen in der Branche.
Welches Potenzial seht ihr in anderen Teilbranchen der Kreativwirtschaft in Bezug auf das Thema Kreislaufwirtschaft?
Wir sind der festen Überzeugung, dass jeder Industriezweig, nicht nur die Textilindustrie, damit beginnen muss, die Grundsätze der Kreislaufwirtschaft zu verinnerlichen. Auch wenn die Textilindustrie derzeit eine der größten Umweltverschmutzerinnen ist, erstreckt sich die Notwendigkeit nachhaltiger Praktiken auf alle Sektoren. Die Ressourcen sind endlich, und es ist von entscheidender Bedeutung, dass jede Branche überlegt, wie sie nachhaltiger arbeiten kann.
In der Textilindustrie gibt es bereits eine Zusammenarbeit mit anderen Branchen, insbesondere bei der Entwicklung neuer Fasern und Textilien. So führen beispielsweise Partnerschaften zwischen der Textil- und der chemischen Industrie zu innovativen Materialien, die nachhaltiger sind. Eine Herausforderung ergibt sich jedoch oft, wenn finanzielle Erwägungen ins Spiel kommen. Leider können diese manchmal zu Entscheidungen führen, die für die langfristige Nachhaltigkeit nicht die besten sind. Ein gutes Beispiel ist das Recycling von PET-Flaschen zu Textilien. Eine PET-Flasche in ein Kleid zu verwandeln, scheint zwar eine nachhaltige Option zu sein, aber damit entfällt die Möglichkeit, diese PET-Flasche wieder in eine andere Flasche zu recyceln, was ein nachhaltigerer Kreislauf hätte sein können.
Letztlich ist das Potenzial für Kreislaufwirtschaft in allen Bereichen der Kreativwirtschaft vorhanden, aber es erfordert die Bereitschaft, Entscheidungen zu treffen, die den langfristigen ökologischen Vorteilen Vorrang vor kurzfristigen finanziellen Gewinnen geben. Unserer Meinung nach ist die Umstellung auf Kreislaufwirtschaft nicht nur eine Chance, sondern eine Notwendigkeit für die Zukunft aller Branchen.
Gibt es besonders spannende Unternehmen oder Geschäftsideen, die ihr über die CTD kennengelernt habt, von denen die Kreativwirtschaft etwas lernen kann?
Was uns wirklich auffällt, ist der Innovationsgeist und der Enthusiasmus der Start-ups in der Textilbranche. Diese jungen Unternehmen strotzden oft vor frischen Ideen und bahnbrechenden Ansätzen zur Nachhaltigkeit. Doch trotz ihrer Kreativität und Leidenschaft fehlt ihnen oft die Größe, die notwendig ist, um die Textilindustrie in größerem Umfang zu beeinflussen.
Deshalb ist es so inspirierend zu sehen, wenn auch größere, etablierte Unternehmen nach vorne gehen und mutige, auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Entscheidungen treffen. Im diesjährigen CTD-Programm haben wir die Ehre, Unternehmen wie Patagonia, IKEA und Decathlon vorzustellen, die nicht nur Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit sind, sondern auch Beispiele geben, von denen die gesamte Branche lernen kann. Diese Unternehmen inspirieren mich (Rachel) persönlich, weil sie sich entschieden haben, der Nachhaltigkeit Priorität einzuräumen, nicht aus Notwendigkeit, sondern aus echtem Engagement für unseren Planeten. Patagonia ist seit langem ein Pionier in Sachen ethischer Beschaffung und transparenter Lieferketten. IKEA setzt weiterhin auf Innovationen im Bereich des Kreislaufdesigns und stellt sicher, dass seine Produkte recycelt oder wiederverwendet werden können. Decathlon wiederum macht beeindruckende Fortschritte bei der Reduzierung seines ökologischen Fußabdrucks, indem es in nachhaltige Materialien und Prozesse investiert.
Die Kreativbranche kann viel von diesen Unternehmen lernen. Sie zeigen, dass Nachhaltigkeit und Innovation selbst in großem Maßstab Hand in Hand gehen können. Indem sie diese Grundsätze in ihre Kernstrategien integrieren, beweisen sie, dass es möglich ist, den Wandel voranzutreiben und neue Maßstäbe zu setzen.
Was wünscht ihr euch für die Zukunft der Textilwirtschaft, und was bräuchte es, um dahinzukommen?
Wir hatten einmal einen Redner, der gesagt hat: „ Kreislaufwirtschaft ist ein Mannschaftssport“, und wir glauben, dass dies eine perfekte Antwort auf diese Frage ist. Um einen echten Wandel in der Textilindustrie herbeizuführen, ist Kooperation der Schlüssel. Wir müssen auf allen Ebenen der Branche – Marken, Hersteller:innen, Verbraucher:innen und Regierungen – zusammenarbeiten, wenn wir etwas bewirken wollen. Aber Zusammenarbeit allein reicht nicht aus; wir brauchen auch strengere, klarere gesetzliche Vorschriften von Seiten der politischen Entscheidungstragenden, um diese Bemühungen zu steuern und zu unterstützen.
Wir können den massiven Einfluss, den Fast- und Ultra-Fast-Fashion-Unternehmen wie SHEIN, TEMU und PRIMARK auf die Branche haben, nicht ignorieren. Diese Marken tragen erheblich zu sozial-ökologischen Problemen bei, aber sie müssen auch Teil der Lösung sein. Wenn wir uns nicht alle dazu verpflichten, es besser zu machen, werden echte Fortschritte unmöglich sein.
Wir vom CTD-Team hoffen, dass wir in der Textilindustrie zusammenkommen, um das Dilemma der Nachhaltigkeit zu benennen und anzuerkennen, und – was noch wichtiger ist –, um sinnvolle Maßnahmen zu ergreifen, um es zu lösen. Wir wünschen uns, dass die Verbraucher:innen die Auswirkungen ihrer Einkäufe verstehen, den emotionalen Wert der von ihnen gekauften Produkte wiederentdecken und Textilien nicht länger als Wegwerfartikel behandeln.
Aber wir sind uns bewusst, dass wir von diesem Ideal noch weit entfernt sind. Solange man ein T-Shirt für nur einen Euro kaufen kann, ist es schwer, diesen Produkten den Wert und den Respekt zu vermitteln, den sie verdienen. Der Weg, der vor uns liegt, ist schwierig, aber mit gemeinsamen Anstrengungen und Engagement können wir eine dauerhafte Veränderung erreichen.
Mehr Infos zu den Circular Textile Days