25. 2. 2025
creative.talk

Norman Schulz
Thüringer Agentur für die Kreativwirtschaft

Norman Schulz

Nach seinem Kultur- und Medienmanagement-Studium durchlief Norman Schulz verschiedene Stationen von der Ruhrtriennale über ein Kultur- und Kommunikationszentrum in Oberbayern, die eigene Agentur KULTURVOLLZUG, mit der er erfolgreich scheiterte, bis zu einem Veranstaltungszentrum in Niedersachsen. Auf der Suche nach neuen Herausforderungen wurde er 2010 im Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes fündig, zunächst als Leiter des Regionalbüros für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland, ab 2013 für Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein. Seit 2014 ist der gebürtige Wolfsburger Leiter der Thüringer Agentur für die Kreativwirtschaft.

Am 5. März organisieren wir in Kooperation mit Thüringen Kreativ die Paneldiskussion „Richtig gutes Zeug: Wie Cross-Innovation Wirtschaft und Kreativität vereint“ im Rahmen des German Creative Economy Summit in Hamburg. Mehr Infos dazu hier.

Foto: Christopher Schmid

Du setzt dich bereits seit 15 Jahren für die Kultur- und Kreativwirtschaft ein. Welchen Satz kannst du nicht mehr hören? Und warum gehst du trotzdem jeden Morgen wieder mit Freude an die Arbeit?

„Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist eine übersehene und unterschätzte Branche“, das ist ein Satz, der Teil einer Erzählung ist, die zusammen mit Faxgerät und Walkman in die Asservatenkammer gehört. Keine Frage, diese Erzählung hatte ihre Berechtigung. Jetzt aber ist es Zeit, eine Vorstellung von Kreativwirtschaft zu entwickeln, die darüber hinaus reicht. Die selbstbewusst vorwegnimmt und selbstverständlich davon ausgeht, dass die Relevanz und Potenziale, aber auch die Besonderheiten der Branche gesellschaftlich anerkannt sind, und mit den Möglichkeitsräumen arbeitet, die sich dadurch öffnen. Diese Vorstellung gemeinsam mit Kreativschaffenden vor Ort zu entwickeln, aber auch mit unseren Partner:innen in den anderen Bundesländern, ist Motivation genug, um jeden Morgen mit Freude an die Arbeit zu gehen.

Du warst über die Jahre in verschiedenen Bundesländern tätig und hast vielfältige regionale Dynamiken der Kreativwirtschaft kennengelernt. Welche Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten konntest du feststellen? Und welche besonderen Chancen und Herausforderungen siehst du für Thüringen?

Die Arbeit mit Kreativschaffenden in sieben Bundesländern hat mir in erster Linie die Gemeinsamkeiten aufgezeigt. Ganz Deutschland ist durchzogen von einem Netz aus kreativen Menschen, die erfolgreich – und oft auf überraschende Weise – Schöpfung und Wertschöpfung eng miteinander verzahnen. Dabei leisten sie nicht nur fundamentale Beiträge für unsere Volkswirtschaft. Sie sind auch eine wertvolle Ressource für Innovation in Wirtschaft und Gesellschaft, sowohl in ländlich geprägten Regionen als auch in urbanen Ballungszentren.

Unterschiede gibt es vor allem in der Wahrnehmung der Auftraggeber:innen. Zu Unrecht werden kreative Kompetenzen vornehmlich in den Metropolen vermutet. In Flächenländern wie Thüringen ist die Dichte der Kreativunternehmen zwar geringer. Qualitativ sind die Kreativschaffenden in Erfurt, Jena, Weimar, Altenburg und Co. aber auf Augenhöhe mit ihren Branchenkolleg:innen in Hamburg, Frankfurt oder Köln.

Auf dem German Creative Economy Summit in Hamburg sprechen wir in unserem gemeinsamen Panel über Cross-Innovation und wie aus dem Zusammenspiel von Wirtschaft und Kreativität „richtig gutes Zeug“ entsteht. Welche Erfahrungen habt ihr in Thüringen mit dem Thema bereits gemacht? Welches Potenzial siehst du in dieser branchenübergreifenden Zusammenarbeit sowohl für Wirtschaft und Gesellschaft als auch für die Kreativwirtschaft im Speziellen?

In Thüringen bieten wir seit knapp drei Jahren mit dem Cross Lab Experimentierräume an, in denen das branchenübergreifende Zusammenspiel mit Kreativschaffenden erprobt wird. Diese Art von Zusammenarbeit eröffnet nicht nur enormes Potenzial. Sie ist eine Notwendigkeit! Warum? Weil die Welt in Bewegung ist. Weil Digitalisierung, demografischer Wandel, weil gesellschaftliche Spaltung und Klimanotstand uns vor Herausforderungen stellen, die im Alleingang längst nicht mehr zu bewältigen sind. Gute Antworten finden wir nur dann, wenn maximal unterschiedliche Perspektiven zusammen für die besten Lösungen streiten. Die Zukunft ist Zusammenarbeit. Die Zukunft ist cross-innovativ. Kooperation, Kollaboration, Ko-Kreation sind die Schlüsselwörter dafür. Und hier kommen Kreative ins Spiel. Denn für diese Arten von Zusammenarbeit sind Kreativschaffende besonders gerüstet. Sie haben den Blick über den Tellerrand professionalisiert, sie öffnen neue Möglichkeitsräume und befassen sich tagtäglich mit der Entwicklung neuer Ideen.

Welche Good Practices sind aus eurem Cross Lab hervorgegangen?

Unser Cross Lab 2023 lieferte frische Ideen für die Frage, wie die Bäckereibranche die Wertschätzung der Käuferschaft für lokale Rohstoffe und nachhaltige Backwaren steigern kann. Am Beispiel des Traditionsunternehmens Bäckerei Bergmann arbeiteten fünf Menschen aus unterschiedlichen Disziplinen wie Handwerk, Ausstellungsdesign und Bildhauerei 3,5 Tage zusammen. Wer neugierig auf die konkreten Ergebnisse ist und wissen möchte, was sich hinter dem Vorlesecafé mit dem Titel „Märchen zwischen Mohn und Mehl“ verbirgt, kann unter Cross Lab 2023 tiefer eintauchen.

Und wer sich dafür interessiert, was passiert, wenn ein Raumfahrtunternehmen mit einer Thriller-Autorin und einem VR/AR-Experten gemeinsam an seinem Employer Branding arbeitet, der schaut gern unter Cross Lab 2024.

Ein zentrales Thema des Panels ist die Frage, wie man Unternehmen aus anderen Branchen für Cross-Innovation begeistern kann. Welche Strategien oder Ansätze haben sich aus deiner Sicht als besonders wirkungsvoll erwiesen?

Die überzeugendste Strategie ist die selbstgemachte Erfahrung – und Unternehmer:innen, die sie mit anderen teilen. Unser Cross-Lab-Teilnehmer Matthias Bergmann, Geschäftsführer einer Traditionsbäckerei, sagt beispielsweise: „Für uns war es spannend, mit Leuten zusammenzuarbeiten, die erstmal nichts mit dem Bäckereihandwerk zu tun haben und dazu noch kreativ sind. Das war unglaublich. Unfassbar, dass in so kurzer Zeit so viele tolle Ideen entstanden sind, die gleich umsetzbar sind.“

Wenn du in die Zukunft blickst: Welche konkreten Schritte oder politischen Weichenstellungen wären aus deiner Sicht notwendig, um die Kultur- und Kreativwirtschaft langfristig als Innovationsmotor der deutschen Wirtschaft zu etablieren?

Um das Potenzial der Kultur- und Kreativwirtschaft ganzheitlich zu nutzen, sollten wir unseren Blick auf die Branche weiten. Denn ihre Wirksamkeit bleibt nicht allein auf die wirtschaftliche Dimension beschränkt. Als Querschnittsbranche entfaltet sie ihre Potenziale in ganz unterschiedlichen Bereichen, z.B. im Zusammenspiel mit Aktuer:innen in den Feldern Kultur, Tourismus, Bildung oder Gesundheit. Auch ihre positiven Effekte auf die Stabilisierung und Entwicklung von Städten und ländlich geprägten Regionen sind unstrittig. Aufgrund der Mehrdimensionalität kreativwirtschaftlicher Potenziale empfiehlt sich daher eine integrative und ressortübergreifende Verankerung des Themas, damit Kultur- und Kreativwirtschaft nicht allein in wirtschaftlicher Hinsicht, sondern in ihrer gesamten Breite sichtbar und nutzbar gemacht wird.

Abschließend: Vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Situation, in der rechtspopulistische Parteien die Debatten bestimmen und – wie z.B. in Thüringen – Mehrheiten gewinnen. Welche Rolle kann die Kreativwirtschaft in Zeiten demokratischer Herausforderungen übernehmen?

Die Kreativwirtschaft kann Räume für Begegnung und Dialog öffnen, Vorbehalte herausfordern und aufbrechen, das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken und vieles mehr. Viele Kreativschaffende stellen das auch immer wieder und oft weit über ihren Geschäftsbereich hinaus unter Beweis. Ich bin aber überzeugt: In diesen Zeiten ist nicht mehr die Frage, welche Rolle die Kreativwirtschaft unternehmen kann; in diesen Zeiten ist die Frage, welche Verantwortung wir alle übernehmen, um Neugier, Vielfalt, Dialogbereitschaft und kooperativen Gestaltungswillen zu stärken. Dazu gehört auch, dass wir uns entschieden wehren, wenn Gestaltungsräume für Kreativschaffende eingeengt werden, und uns dafür einsetzen, dass sie ihre Fähigkeiten auf allen Ebenen einbringen – vom sanierungsbedürftigen Schulgebäude bis hin zur Kommunikation des „Heizungsgesetzes 2.0“.

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