Frau Hartmann, das WIA Festival 2025 ist das erste bundesweite Festival zur Sichtbarmachung von Frauen in Architektur, Stadtplanung und Baukultur. Warum braucht es eine solche Veranstaltung? Und welche Themen und Ziele stehen für Sie persönlich im Zentrum des Festivals?
Das WIA Festival findet zum zweiten Mal statt, das Vorläuferevent 2021 war auf Berlin beschränkt. Dass es stattfindet, ist der ehrenamtlichen Arbeit vieler engagierter Planerinnen zu verdanken, die sich mit der strukturellen Diskriminierung in der Planungs- und Baubranche nicht länger abfinden möchten. Während es lange darum ging, die Leistungen von Planerinnen sichtbar zu machen, steht jetzt im Fokus, Strukturen zu ändern. Die Frage ist ja, was kommt nach der Sichtbarkeit?
Als Mitglied im Festival-Beirat bringen Sie die Perspektive der Architektinnen Initiative NW mit ein. Welche Impulse setzt die Initiative für mehr Gleichstellung in Architektur und Planung speziell in NRW?
Die AI NW ist das älteste und größte Netzwerk für Planerinnen aller Fachrichtungen in Deutschland. Wir sind drittstärkste Kraft in der Vertreter:innenversammlung der Architektenkammer NRW und haben in den letzten 20 Jahren berufspolitisch viele Impulse gesetzt, die die Belange von Frauen* betreffen. Darüber hinaus werden wir überregional als wichtige Stimme im Diskurs um Chancengleichheit wahrgenommen, das war für uns der Grund dafür, ein großes, öffentlich sichtbares Zeichen zu setzen: Wir realisieren mit Katharina Cibulka das 33. Projekt ihrer internationalen SOLANGE-Reihe. Am 25. Juni 2025 enthüllt sie an der Evangelischen Johanneskirche in Düsseldorf ein neues Statement, das mit „Solange ...“ beginnt und mit „ ... bin ich Feminist:in“ endet. Auch die Wahl des Standorts Kirche hat damit zu tun, dass wir über unsere branchenspezifischen Zielgruppen hinaus in den Düsseldorfer öffentlichen Raum wirken möchten.
In Ihrem Buch „Schwarzer Rolli, Hornbrille“ analysieren Sie die Strukturen der Architekturbranche sachlich, aber kritisch aus feministischer Sicht. Was muss sich grundlegend ändern, damit echte Diversität und Chancengleichheit möglich werden?
Die Architekturbranche ist sehr stark von obsoleten Narrativen geprägt, die sich in einem weitgehend selbstreferenziellen Diskurs sehr lange gehalten haben: Zur Architektur ist man berufen, Allzeitverfügbarkeit, die Hingabe an die gute Sache. Diese Narrative sind nicht mehr zeitgemäß; aktuell wirken die Baukrise, die zunehmende Komplexität des Bauens, aber auch die Erfordernisse der Klimakrise auf das Berufsbild ein – und erzeugen einen Veränderungsdruck. Es gilt, diese Narrative einer neuen Gegenwart anzupassen und zu reflektieren, in der Praxis, aber auch in der Lehre und im Fachdiskurs.
Branchenübergreifend ist die gerechte Verteilung von Care-Arbeit der Schlüssel zu mehr Gleichberechtigung – in der deutschen Planungskultur aktuell kaum vorstellbar.
Was bedeutet eine feministische Perspektive konkret für die Stadtplanung – und woran erkennen wir eigentlich, ob Räume aus vorwiegend männlicher Sicht gestaltet sind oder nicht?
Das erkennen wir sofort, wenn wir Teil einer marginalisierten Gruppe sind. Ist der sicherste Nachhauseweg für mich als Frau nach 22:00 Uhr der gleiche wie für alle? Kann ich mich mit einem Buggy barrierefrei in der Stadt bewegen? Finden ich als ältere Frau innerhalb von zehn Minuten eine Toilette? Finde ich auf dem Wohnungsmarkt als Alleinerziehende schnell eine Wohnung, die für mich geeignet ist?
Und zum Schluss: Was wünschen Sie sich, das vom WIA Festival 2025 über den Juni hinaus bleibt – sowohl für die Branche als auch für die nächste Generation von Planerinnen?
Ich wünsche mir eine noch bessere Vernetzung über die einzelnen Bubbles hinaus, und dass auf den Treffen viele neue Ideen für Projekte entstehen, die in den kommenden Jahren umgesetzt werden. Aus meiner Sicht ist das WIA das beste Event dazu, das Thema auf lange Sicht so in die Breite zu tragen, dass diese vierte feministische Welle die letzte bleibt – weil wir so lange an der Chancengleichheit in den Strukturen arbeiten, bis sie erreicht ist.
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