Du bist mit der Stiftung Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv zu Köln Partner des Transformationsprojekts Papierfabrik Zerkall und damit Mitauftraggeber einer unserer creative.challenges 2024. Worin besteht genau die Aufgabenstellung? Was ist das Besondere an dem Ort?
Die Papierfabrik Zerkall ist ein Traditionsstandort der Papierindustrie, wo über hundert Jahre lang Büttenpapiere hergestellt wurden. Die Produktion der Büttenpapiere basiert auf einer langen Tradition und ist sehr arbeitsaufwändig, aber dafür erhalten die Kund:innen absolute Qualitätsware. Die Singularität der Papierfabrik Zerkall wird auch durch die Lage gekennzeichnet. Als einziger Industriebetrieb am Rande der dortigen Nordeifel kommt der Fabrik ein Alleinstellungsmerkmal nicht nur in historischer Hinsicht zugute. Die Lage am Fluss – unerlässlich für die Papierherstellung – und am Waldrand stellen ein besonderes Ambiente dar. Mit dem Blick nach vorne kann die Transformation von einem Traditionsstandort in einen modernen, nachhaltig produzierenden Betrieb gelingen. Dazu können die natürlichen Ressourcen hervorragend sparsam genutzt werden. Seit zwei Jahren arbeiten wir in einem Team zudem an der Erweiterung des Standorts zu einem Faser-Innovationszentrum, was schon gelungen ist, und an Angeboten für Tourismus sowie Kultur. Für dieses Ensemble unter nachhaltigen Aspekten eine Transformation zu entwickeln, ist eine spannende Aufgabe.
Im Rahmen der creative.challenges werden sich zwei interdisziplinär besetzte Kreativteams der Lösung dieser Herausforderung annehmen. Warum, glaubst du, sind Kreativschaffende die Richtigen für diesen Job?
Das Ambiente des Ortes bietet Inspiration und erzeugt neue Ideen. Davon bin ich überzeugt, es ging mir beim ersten Besuch auch so. Ich empfehle die Anreise mit der Rurtalbahn und den kurzen Spaziergang von der gleichnamigen Haltestelle durch den Ort zur Fabrik. Das ist ein Aha-Erlebnis besonderer Art. Auf dem Weg sind die Einflüsse elementar für die sprudelnden Einfälle, und je nach Witterung sprießen unterschiedliche innovative Pläne. Egal ob Sommer oder Winter – der Ort vermittelt Kreativität, und es ist total spannend zu sehen, welche Ideen entstehen. Bisherige Besucher:innen haben dies ebenfalls so erlebt. Die Fotografin Maxi Uellendahl hat vor einigen Jahren die Papierfabrik Zerkall besucht und ein wunderschönes Buch über den Standort mit ihren qualitativ hochwertigen Fotografien veröffentlicht – ich bin sicher, dass der Ort inspirierend auf sie wirkte. Besonders spannend ist, dass zwei interdisziplinäre Teams antreten, und darauf freue mich besonders. Nach meinen bisherigen Erfahrungen, z.B. bei der c/o pop Convention, sind gerade die unterschiedlichen Sparten der Kreativwirtschaft bei gemeinsamem Handeln besonders effektiv.
Du warst im Rahmen deiner Tätigkeit für die Industrie- und Handelskammer Köln und bist noch immer nah dran an der Kreativbranche wie auch der klassischen Wirtschaft und damit den beiden Stakeholdern für Cross-Innovationen. Wie beurteilst du die Bereitschaft von Wirtschaftsunternehmen, branchenübergreifende Kooperationen einzugehen? Wie könnte man die Zusammenarbeit verbessern bzw. vorantreiben?
Als Historiker weiß ich, dass Wirtschaft immer im Wandel ist. Der Wandel hin zu nachhaltigen Produkten und Dienstleistungen ist inzwischen weit verbreitet. Dabei merken viele Unternehmen, dass das Zusammenspiel mit anderen sehr viel effizienter ist als die Abschottung. Besonders gilt dies für branchenübergreifende Kooperationen. Industrie-, Handwerks, Handels- und klassische Dienstleistungsunternehmen können ihre Produktivität erhöhen und neue Wege gehen. Hier und da braucht es dafür einen Impuls von draußen. Da leisten die Kammern und Institutionen wie creative.nrw schon sehr viel. Kooperation entsteht aus der Möglichkeit der Vernetzung. Angebote gibt es, es braucht vielleicht noch den Anstoß für die Menschen in Unternehmen, diese auch anzunehmen.
Das Rheinische Revier ist eins der größten Strukturwandelprojekte NRWs – es soll zur klimaneutralen Vorbildregion für Deutschland und Europa werden. Was bedeutet das für die Menschen und die Unternehmen vor Ort? Welches Potenzial birgt diese Region für NRW allgemein?
Der Standort Rheinisches Revier bietet vor allem Flächen, die bislang in dieser Form nicht mehr zur Verfügung standen. Das Potenzial ist da, einen Wirtschaftsstandort par excellence zu entwickeln. Dafür benötigt es Infrastruktur – deren Schaffung ist klassische Aufgabe der öffentlichen Hand. Mit Infrastruktur sind nicht nur Straßen- und Schienenverkehr gemeint. Genauso wichtig ist die Schaffung neuer Pipelines und leistungsfähiger IT-Netze. In der Wirtschaftsgeschichte gingen neue Ideen und die Entwicklung von Produkten immer einher mit der Logistik. Über allem steht aber die Energieversorgung. Ohne Energie funktioniert es nicht – sie kann nachhaltig sein und sparsam eingesetzt werden, aber sie muss verfügbar sein. Klimaneutralität zu erreichen ist für viele Unternehmen inzwischen ein erstrebenswertes Ziel. Aber sie müssen mitgenommen werden und haben selbst gute Ideen, diese zu erreichen. Beim Strukturwandel ist es für die Menschen vor Ort vor allem wichtig, Arbeitsplätze zu schaffen. Das zeigt auch ein Blick in die Geschichte – lebenswerte Orte haben sich dort entwickelt, wo die Menschen Arbeit fanden. Dabei bietet bei zielgerichteter Planung die Symbiose von Arbeit und Leben vor Ort auch die Möglichkeit der Energiesparsamkeit.
Du bist Historiker – wenn du selber Geschichte schreiben könntest, wie würde sich das Rheinische Revier idealerweise entwickeln? Welche Rolle kann oder sollte die Kultur- und Kreativwirtschaft dabei spielen?
Ausgehend von dem Vorgesagten stelle ich mir das Rheinische Revier als Zukunftsort vor, an dem Wirtschaft, Wissenschaft und lebenswerte Orte mit hoher Aufenthaltsqualität miteinander agieren. Es bedarf einer Vision, die getragen wird von einem gemeinsamen Kooperationswillen. Gerade die Kultur- und Kreativwirtschaft kann hier viel einbringen und die Menschen inhaltlich mitnehmen. Kreativschaffende sind prädestiniert, Prozesse zu organisieren und zum Erfolg zu bringen. Zudem sind sie offen für neue Ansätze. Wenn die Entscheidungsträger:innen dies erkennen, haben sie die historische Chance ergriffen, den Standort positiv in die Zukunft zu entwickeln.
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